Keiner soll schummeln

Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth im Gespräch über seine Erwartungen an den Klimagipfel

  • Benjamin von Brackel und Sandra Kirchner
  • Lesedauer: 4 Min.

In Bonn geht es in erster Linie um technische Details. Werden die wichtigen Klimaentscheidungen erst 2018 in Katowice getroffen?
Es wird technisch, aber trotzdem gibt es wichtige Punkte zu erledigen: Wir müssen festlegen, nach welchem Prozedere die Bestandsaufnahme der nationalen Klimaziele 2018 ablaufen wird. Zudem müssen wir klären, nach welchen Regeln das Paris-Abkommen umgesetzt wird - endgültig stehen soll das Regelwerk nächstes Jahr. Also: Wie wird der CO2-Ausstoß der Länder gemessen? Wie berichten ihn die Länder?

Was ist der Knackpunkt?
Wir müssen einerseits ausschließen, dass geschummelt wird. Andererseits ist es für viele Staaten inakzeptabel, dass Inspekteure ins Land kommen und Überprüfungen vornehmen. Wir müssen die richtige Präzision finden, zu validen Daten zu kommen, ohne eine Weltinspektion loszuschicken.

Jochen Flasbarth

Der Staatssekretär im Bundesumweltministerium, Jochen Flasbarth, vertritt Deutschland beim Weltklimagipfel in Bonn. Benjamin von Brackel und Sandra Kirchner hat er erklärt, warum es so schwierig ist, die Bedingungen zu klären, unter denen das Paris-Abkommen umgesetzt werden soll. Zudem fordert der 55-jährige studierte Volkswirt einen raschen Kohleausstieg.

Welche Probleme könnten in Bonn auftauchen?
Schwierig wäre, wenn die alte Spaltung zwischen Industrie- und Entwicklungsländern wieder auftauchen würde. Ein Punkt, der eigentlich in Paris schon überwunden wurde mit dem Beschluss, dass alle Länder Klimaschutz betreiben müssen. Schließlich hat sich seit der Klimarahmenkonvention mit ihrer Unterscheidung zwischen Industrie- und Entwicklungsländern im Jahr 1992 einiges verändert, China ist inzwischen der weltgrößte CO2-Emittent. Aber bei der Frage, wie die Länder ihre Klimaziele berichten müssen, könnte die unterschiedliche Behandlung von Industrie- und Entwicklungsländern wieder hochkommen.

In Bonn stellen Großbritannien und Kanada eine Initiative vor für den globalen Kohleausstieg. Können Sie sich vor der Bildung der Regierungskoalition überhaupt anschließen?
Nein, das können wir nicht. Wir wurden gefragt, ob wir mitmachen. Ich habe um Verständnis gebeten, dass wir das nicht im Vorgriff auf die nächste Regierung entscheiden können. Die Initiative wird uns aber auf dem Laufenden halten. Denn ich glaube, dass der künftige Umweltminister oder die künftige Umweltministerin definitiv daran interessiert sein wird.

Deutschland passt derzeit ja auch gar nicht zur Gruppe - die Kohlekraftwerke laufen fast in voller Stärke weiter und die Emissionen sind in der Amtszeit Angela Merkels kaum gesunken.
Einerseits müssen wir uns mit unseren CO2-Minderungen von 28 Prozent seit 1990 nicht verstecken im weltweiten Vergleich. Aber es stimmt: Wir sind noch nicht auf Kurs, unser ehrgeiziges nationales Klimaziel von 40 Prozent bis 2020 zu erreichen. Das ärgert mich natürlich. Wir haben im Bundesumweltministerium keine Gelegenheit ausgelassen, für robusten Klimaschutz einzutreten und uns damit auch ziemlich viel Ärger in der Regierung eingehandelt. Da hätte ich mir natürlich bessere Zahlen gewünscht.

Vom Versuch 2015 blieb nur die kritisierte Kohlereserve. Warum?
Es gab viel Widerstand, von den Wirtschafts- und Energiepolitikern der Union im Bundestag vor allem. Ein Grund war der Widerstand aus Brandenburg und Nordrhein-Westfalen. Vor allem die Brachialität, mit der der damalige CDU-Oppositionsführer in NRW, Armin Laschet, gegen den Vorschlag der Klimaabgabe vorgegangen ist, war in diesem Ausmaß überraschend und hat zu einer weiteren Verschärfung geführt.

Laschet, aber auch die FDP stellen sich gegen die Forderung der Grünen, die 20 schmutzigsten Kohlekraftwerke abzuschalten. Die Versorgungssicherheit sei gefährdet.
Der Vorwurf trifft einfach nicht zu. Unser Hauptproblem ist, dass wir gigantische Kohle-Überkapazitäten haben, die jährlich immer weiter wachsen. Wir exportieren große Mengen Kohlestrom, das verhagelt uns die Klimabilanz.

Kann man von heute auf morgen 20 Kraftwerke abschalten?
Die Frage ist doch: Wie viele Kraftwerke schalten wir noch vor 2020 ab, um das 40-Prozent-Ziel zu erreichen? Viele wollen das nicht gerne hören, aber alles, was wir bis 2020 nicht machen, müssen wir bis 2030 zusätzlich machen. Bis 2030 müssen wir 55 Prozent Treibhausgase einsparen. Das entspricht etwa unserer Verpflichtung nach EU-Recht und nach dem Pariser Klimaschutzabkommen, ist also nicht die Sorte Ziel, die man einhalten kann oder auch nicht. Das ist nicht Kür, sondern unsere völker- und europarechtliche Verpflichtung. Das geht in der aktuellen Debatte unter.

Diese Woche legt die EU-Kommission ihren Entwurf für CO2-Grenzwerte vor. Zuvor intervenierte Matthias Wissmann, Präsident des Verbandes der Deutschen Automobilindustrie. Was läuft falsch, wenn Lobbyisten Gesetze schreiben?
Das eigentliche Problem ist, dass Herr Wissmann Lobbyismus von vorgestern macht. Hoffentlich wird sein Nachfolger beginnen, sich an den gesellschaftlichen Erwartungen an die Branche zu orientieren. Die Art, wie die Automobilindustrie von der Politik umhegt worden ist, hat zu einer Überheblichkeit der Branche geführt, die nun im Dieselskandal auf die Spitze getrieben wurde.

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