Die hohe Kunst der PR

  • Lesedauer: 3 Min.

Kürzlich erhielt ich an meine Redaktionsadresse eine Mail, die auf den ersten Blick wie viele solche Mails zu sein schien, die täglich die Redaktion erreichen, um sogleich durch die Entfernen-Taste in die Daten-Hölle geschickt zu werden. Doch der Verfasser bot an, für diese Zeitung einen Artikel zu schreiben, und zwar »auf der Grundlage eines exklusiven Interviews«. Hierin, liebe Leserinnen und Leser, zeigt sich die hohe PR-Kunst, Aufmerksamkeit beim Empfänger zu wecken. Ich las also weiter: »Durch meinen geographischen Hintergrund habe ich einen Blick auf weltweite Ereignisse, die die pflanzliche Bewegung betreffen. So habe ich vor kurzem von einer deutschen Schule im Ausland gehört, die die erste Schule ist, die komplett vegan ist. Dieses Projekt verdeutlicht noch einmal die weltweite Vorreiterrolle, die Deutschland in Sachen Umweltschutz und pflanzliche Bewegung einnimmt. (…) Wenn Sie und Ihre Leser dieser Artikel interessieren würde, freue ich mich Ihnen den Artikel inklusive Bildmaterial zur Veröffentlichung anzubieten.« (sic!)

Leider konnte ich das Angebot nicht annehmen, weil kurze Zeit später die nächste vielversprechende Mail im Posteingang landete. Eine gewisse Änne, die ich überhaupt nicht kenne und wohl nie kennenlernen will, schrieb: »Hi Jürgen, wie gehts dir? Ich wollte nur kurz nachfragen ich hatte dir vor einer Weile Shawn James mit seinem Soloalbum ›On The Shoulder Of Giants‹ zugeschickt.« (sic!) Da Änne, die offensichtlich keinen Nachnamen hat, aber sich als »Head of PR« vorstellte, will ich gerne glauben, dass sie mir diesen Shawn James vorbeigeschickt hat. Allerdings konnte sich der Pförtner unten am Empfang nicht erinnern, dass eine Person dieses Namens nach mir gefragt hat.

Es gibt aber auch Wichtigeres in dieser Stadt. Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass der Berliner Senat eine wegweisende Idee für die Umsetzung des sogenannten Masterplans »Radverkehr 3000 Plus« entwickelt hat. Zwar wird, wie jede Radfahrerin und jeder Radfahrer aus leidvoller Erfahrung wissen, noch jede politische Vorgabe zur Verbesserung des Radwegenetzes in Berlin von der Verwaltung derart ungern umgesetzt, dass es einer Arbeitsverweigerung gleich kommt, aber der neue Senatsplan dürfte auch die Arbeiter vor Ort erfreuen. Künftig sollen die wenigen Radwege Berlins grün leuchten. Hierfür werden bereits vorhandenen Wege überpinselt. Beim Neubau von Radwegen könne auch farbiger Asphalt eingesetzt werden, heißt es in dem Plan.

Radfahrstreifeneinfärbexperten sind schon ganz hippelig. So freute sich eine Autofahrerin über das »neue Sicherheitsrisiko« für Radfahrer, weil Radfahrer auf grünen Wegen leichter für die PKW-Lenker zu sehen und daher besser anvisiert werden könnten. Andere Autofahrer sind schon ganz wuschig angesichts der vielen neuen grün markierten Autostellplätze.

Aber wie sagen wir PR-Experten: Hauptsache der geografische Hintergrund passt, und Berlin behält seine Vorreiterrolle in Sachen politischer Scheinbewegung.

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