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»Die BVG rechnet immer auf Kante«

ver.di: Schuld an Zugausfällen wegen Wagenmangels bei der U-Bahn ist auch ein neues Werkstattkonzept

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 4 Min.

U-Bahnfahren ist im Moment eine fordernde Angelegenheit. Ausfallende Fahrten, vollkommen überfüllte Wagen und zu kurze Züge sind ein Dauerzustand. Was ist da los?
Im U-Bahnbereich ist die Situation im Moment sehr angespannt. Das liegt vor allem daran, dass die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) mit der planmäßigen Instandsetzung nicht hinterherkommen. Dabei geht es vor allem um Arbeiten, die nach bestimmten Kilometerleistungen vorgeschrieben sind. Es müssen Fahrzeuge in Größenordnungen abgestellt werden, die dann logischerweise für den Verkehr nicht zur Verfügung stehen.

Es geht also nicht um außerplanmäßige Schäden?
Nein. Vandalismus spielt natürlich auch eine Rolle, aber nicht in dem Maße. Am vergangenen Dienstag fehlten insgesamt 86 Wagen im U-Bahnbetrieb. 64 Fahrten sind ausgefallen. So sieht der Alltag gerade aus.

Zur Person
Seit Februar 2016 ist Jeremy Arndt als Gewerkschaftssekretär bei ver.di zuständig für die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). Regelmäßig informiert er die Öffentlichkeit über Versäumnisse der BVG-Führung aus Beschäftigtensicht. Über drängende Probleme und mangelnde Kommunikation im Betrieb sprach mit ihm für »neues deutschland« Nicolas Šustr.

Warum läuft es nicht in den Werkstätten?
Das hat zwei Gründe. Der eine ist, dass die Fahrzeugflotte veraltet ist. Es ist über Jahre hinweg letztendlich vom Senat versäumt worden, eine kontinuierliche Fahrzeug-Neubeschaffung sicherzustellen. Der zweite ist die Umstellung der Fahrzeuginstandsetzung. Um die Effizienz zu steigern hat die BVG sich eine Unternehmensberatung reingeholt. Tatsächlich haben die Maßnahmen dafür gesorgt, dass die Standzeiten der Fahrzeuge in den Werkstätten sich drastisch erhöht haben. Das ist so der vorwiegende Grund, warum es da gerade so hakt.

Auch beim Bus läuft es nicht rund. Liegt das nur an den vielen Staus?
Nein. Bei den Doppeldeckern gibt es zum Beispiel ein massives Rostproblem. Rund 200 Stehenbleiber, die nicht das Depot verlassen, gibt es im Busbereich, bei einer Reserve von 130 Bussen. Täglich fällt eine dreistellige Anzahl von Fahrten aus.

Zum Fahrplanwechsel im Dezember soll vor allem das Busangebot wieder deutlich ausgeweitet werden. Sie bezweifeln, dass ausreichend Fahrer dafür gefunden werden.
Es gibt immer noch Probleme, qualifiziertes Personal zu finden. Bewerbungen selber sind auch in ausreichender Anzahl wirklich vorhanden, allerdings die Qualität ist eben nicht das, was die BVG gerne haben möchte. Und das zieht sich so durch, weil die Arbeitsbedingungen eben auch schwierig sind und immer weniger Leute bereit sind, in einem solchen Schichtsystem zu arbeiten, im überfüllten Stadtverkehr unterwegs zu sein.

Die BVG bestreitet regelmäßig, dass es Fahrermangel gibt. Höchstens räumt sie eine Knappheit ein.
Die BVG rechnet immer auf Kante. So, dass im Normalfall alles genau funktioniert. Wenn die Einstellungen ausbleiben, wenn die Krankenquote hochgeht, dann fehlt natürlich sofort Personal. Und das spiegelt sich natürlich sofort im Verkehr wieder.

Viele Fahrgäste haben den Eindruck, dass die BVG ihre wahre Lage verschleiert.
Ich würde eher sagen, dass die BVG ein hohes Interesse hat, ein gewisses positives Image zu pflegen.

Sie weisen inzwischen regelmäßig öffentlich auf Fehlentwicklungen bei der BVG hin, die ihre Einschätzungen wiederum gerne öffentlich in Zweifel zieht. Warum ist der Ton so rau geworden?
Die BVG hat ein eben hohes Interesse an einem positiven Image. Leider verschließt sich die Geschäftsführung der Kritik, die unter anderem auch von ver.di geäußert wird. Wir haben das Gefühl, dass Hinweise auch auf gravierende Probleme nicht ernst genommen werden. Fahrzeug- und Personalmangel sind Themen, die auch die Allgemeinheit und die Fahrgäste betreffen, daher informieren wir die Politik und die Öffentlichkeit über diese Missstände. Auch die haben ein Anrecht darauf, zu wissen, was los ist, wenn Umläufe ausfallen, wenn die Fahrzeuge nicht zur Verfügung stehen. Letztendlich geht es dabei um die Beschäftigten der BVG.

Das klingt, als sei die Stimmung unter den Beschäftigten auch nicht die Beste?
Wir erleben eine relativ hohe Frustration, was damit zusammenhängt, dass die Arbeitsbedingungen schwieriger geworden sind. Auch bei den Altbeschäftigten macht sich Resignation breit. Das ist bedauerlich, weil die BVG früher ein besonderer Betrieb war, dem die Beschäftigten sehr verbunden waren. Nun machen viele einfach nur ihren Job. Noch lebt die BVG von den Leuten, die nicht resigniert haben. Gedankt wird es selten.

Werden bei den nächsten Tarifverhandlungen mit der BVG die Arbeitsbedingungen Thema?
Der Manteltarifvertrag, wo es um die Arbeitsbedingungen geht, ist erstmals kündbar zum 31. Dezember 2018. Die konkreten Ziele werden wir noch mit der Tarifkommission diskutieren müssen. Wir wollen auch unsere Mitglieder befragen. Es gibt ja seit Jahren offene Baustellen wie unterschiedliche Arbeitszeiten zwischen Alt- und Neubeschäftigten, mit 50 Minuten eine überlange unbezahlte Pause im Fahrdienst. Die Themen werden uns nicht ausgehen.

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