Er muss es gewusst haben

Das IOC schließt weitere Russen von Olympia aus und liefert im Fall Alexander Legkow auch die erste Begründung

Was ist neu?
Die Kommission unter der Leitung des Schweizer Juristen Denis Oswald hat fünf weitere russische Wintersportler lebenslang von den Olympischen Spielen ausgeschlossen. Sie prüft im Auftrag des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), welche Sportler in den Betrug in Sotschi 2014 verwickelt waren. 19 Athleten wurden schon gesperrt. Erstmals liegt nun auch eine Urteilsbegründung vor: im Fall des am 1. November gesperrten Skilangläufers Alexander Legkow, der in Sotschi Gold über 50 Kilometer und Staffelsilber gewonnen hatte.

Wofür wurde Legkow gesperrt?
Das IOC sprach ihn in drei Punkten schuldig: Manipulation von Proben, Einnahme von verbotenen Substanzen und Vertuschung. Auch wenn er nicht all diese Dinge selbst ausgeführt hat, sei er durch sein Wissen und seine Mithilfe trotzdem schuldig.

Was sind die Beweise?
Vornehmlich wird der Report von Sonderermittler Richard McLaren erneut überprüft, ebenso die Aussagen des ehemaligen Leiters der Dopinglabore von Moskau und Sotschi, Grigori Rodtschenkow, der als Whistleblower nach seiner Flucht in die USA gegenüber McLaren und der Oswald-Kommission aussagte. Das IOC hat zudem Kriminologen und Biologen mit Untersuchungen beauftragt, die erneut zweierlei nachwiesen: Versiegelte Proben wurden geöffnet, um den Inhalt auszutauschen. Das ist anhand von Kratzspuren auf den Innenseiten der Deckel erkennbar. Andererseits bedeutet das aber nicht, dass nicht manipuliert wurde, wenn Kratzspuren fehlen. Denn mit der Zeit wurden die Wissenschaftler geübt in der Methode und hinterließen weniger Spuren. Das sei auch bei den russischen Manipulationen wahrscheinlich.

Außerdem wurden teils abnorme Salzwerte in Proben gefunden, die Rodtschenkows Darstellung stützen, dass mit Salz fehlendes Gewicht bei ausgetauschten Proben ausgeglichen wurde. Auch in Proben ohne Kratzer am Deckel wurden zu hohe Salzwerte festgestellt. »Die Kommission ist daher überzeugt, dass Rodtschenkow die Wahrheit sagte«, steht im Urteil.

Legkow werden zwei Proben mit zerkratztem Deckel zur Last gelegt, auch vom Tag seines Siegs über 50 Kilometer. Rodtschenkow sagte aus, dass er sich an das Vertauschen eben jener Probe erinnern könne. Legkows Name stand mit denen anderer Athleten auch auf der »Duchess-Liste«. Diese Sportler wurden »geschützt«, ihre Proben also ausgetauscht. Die Datei hatte Rodtschenkow geliefert, sie stammt aber wahrscheinlich von einem Leistungszentrum, das die besten Athleten Russlands auf Großereignisse vorbereitet. Die Liste erhielt ihren Namen vom »Duchess-Cocktail« - eine Mischung mehrerer Dopingsubstanzen, die Rodtschenkow für die Athleten auf der Liste entwickelt hatte. Legkow soll den Cocktail in Sotschi eingenommen haben.

Wie sah Legkows Verteidigung aus?
Der Russe bestreitet laut Aussagen seines Anwalts nicht die Existenz des Dopingsystems der Russen, aber seine individuelle Schuld. Er beteuert, nie vom System gewusst, nie gedopt und nie Proben fotografiert zu haben. Dies wäre für den Erfolg der Manipulation notwendig, um die Nummer der Sotschi-Probe mit ihm in Verbindung zu bringen. Nur mit Foto konnten die Labormitarbeiter um Rodtschenkow erfahren, welche Proben sie austauschen mussten.

Die Oswald-Kommission glaubt dem Russen nicht. »Dieses System funktioniert nur unter der Mitarbeit der Athleten«, heißt es. Sie mussten dafür vorher saubere Proben abgeben. Ein solch komplizierter Plan sei sinnlos, wenn die Athleten dann nicht auch gedopt hätten: »Die Proben von sauberen Athleten müssen nicht vertauscht werden.«

Wer musste was beweisen?
Die Beweislast lag bei der Kommission. In einem Dopingverfahren muss jedoch - vor allem bei den Vorwürfen der Vertuschung und der Manipulation - kein direkter Beweis in Form einer positiven Probe vorliegen. Dies ist durch die Vernichtung der ursprünglichen Probe ja auch unmöglich. Überzeugende Indizien können ausreichend sein. Das haben das Schweizer Bundesgericht und der Internationale Sportgerichtshof CAS in früheren Urteilen bereits bestätigt. Dass die Proben Legkows manipuliert worden seien, »stellt aber auch einen direkten Beweis dar, dass der Athlet in das System verwickelt war«, heißt es in der Begründung. Rodtschenkow steckt im Zeugenschutzprogramm der USA, konnte daher nicht von Legkows Anwälten befragt werden, was diese kritisieren. Die Kommission glaubte Rodtschenkows Aussagen jedoch vollumfassend.

Wie geht es für Legkow weiter?
»Ich stehe aufrecht und kämpfe«, teilte der Russe schon vor Tagen mit. Er will das Urteil vor dem CAS anfechten. Im Weltcup dürfte er noch mitlaufen, er verzichtet darauf aber im Moment wegen Formschwäche. Der Skiweltverband FIS hatte bislang noch auf die Urteilsbegründung vom IOC gewartet, bevor er über eine Sperre entscheiden will.

Werden nun alle Russen für Olympia 2018 gesperrt?
Das entscheidet die IOC-Exekutive am 5. Dezember. Sie wartet noch auf Empfehlungen einer anderen Kommission unter Leitung des Schweizers Samuel Schmid. Er soll klären, wer das systematische Doping in Russland zu verantworten hat. Die Staatsführung dementiert alle Vorwürfe. Regierungssprecher Dmitri Peskow sagte, Russland werde alle rechtlichen Mittel ausschöpfen, um seine Sportler zu schützen.

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