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Apotheke kauft Krankenversicherung

Auf dem US-Gesundheitsmarkt bahnen sich große Veränderungen an - die Angst vor Amazon treibt die Branche um

  • John Dyer, Boston
  • Lesedauer: 4 Min.

Eine »Gesundheitsplattform nach Maß« für jeden Kunden verspricht CEO Larry J. Merlo von der Apothekenkette CVS Health. Das werde durch die Verbindung des persönlichen Umgangs in den Apotheken von CVS mit den nüchternen Zahlenreihen und Statistiken von Aetna möglich. Denn der Versicherungskonzern Aetna und CVS Health wollen sich zusammenschließen. Das gaben die Unternehmen in der Nacht zu Montag bekannt. CVS kauft demnach Aetna für 69 Milliarden Dollar (umgerechnet rund 58 Milliarden Euro). Zusammen mit Aetnas Schulden beträgt der Kaufpreis sogar 78 Milliarden Dollar.

Der Verkauf von Medikamenten und die Bezahlung der Rechnung kommen dann aus einer Hand. Aetna hat derzeit fast 45 Millionen Krankenversicherte und CVS betreibt in den USA 9700 Apotheken und 1100 Tageskliniken. Außerdem übernimmt CVS die Abwicklung vom Rezept bis zur Aushändigung der Medikamente - also die Abrechnung mit Arzt und Kassen - schon für 90 Millionen Kunden als einen bezahlten Zusatzdienst.

Beide Unternehmen bezeichneten den Zusammenschluss als »natürliche Entwicklung« der Gesundheitsbranche in den USA. Viele US-Amerikaner sind mit dem kleinteiligen System überfordert, in dem Ärzte, Krankenversicherungen, Apotheken und andere Dienste oft unterschiedlichen Dachverbänden angehören. Das gemeinsame Großunternehmen werde »die Konsumentenmacht dramatisch steigern«, erklärte der Geschäftsführer von Aetna, Mark T. Bertolini. »Wir werden die gesundheitlichen Ansprüche unserer Versicherten besser verstehen, sie durch das Gesundheitssystem führen und ihnen helfen, das Beste für ihre Gesundheit zu bekommen.«

Dabei setzt CVS-Chef Larry J. Merlo insbesondere auf Aetnas umfassenden Schatz an Kundendaten. Der Zukauf soll als eigenständige Sparte unter dem Konzerndach bestehen bleiben, Bertolini und zwei weitere Direktoren sollen künftig den CVS-Verwaltungsrat verstärken.

CVS aus Rhode Island bezahlt für Aetna mit Sitz in Connecticut 207 Dollar pro Aktie, wobei 145 Dollar in bar bezahlt werden, der Rest wird in Aktien übergeben. Beide Unternehmen erwarten sich von der Fusion Einsparungen in Höhe von rund 750 Millionen Dollar. Stimmt die Kartellaufsicht dem geplanten Vertrag zu, dann könnte der Zusammenschluss bereits in der zweiten Jahreshälfte 2018 vollzogen werden.

Die Manager beider Firmen stellten die Fusion als einen Schritt in die Zukunft dar. Aber Experten sehen darin vielmehr einen Präventivschlag gegen die erwartete Konkurrenz, die durch tiefgreifende Veränderungen auf dem US-Gesundheitsmarkt absehbar ist. Denn alle Firmen müssen versuchen, ihre Kosten drastisch zu senken. Einige Pharmahersteller haben solche Konsolidierungsschritte bereits hinter sich. Jetzt ziehen die Krankenversicherer, die »Pharmacy benefits manager« - Firmen zur kaufmännischen Rezeptabwicklung - und ähnliche Anbieter nach. CVS hat eine solche Firma bereits im Jahr 2007 gekauft: Caremark Rx. Inzwischen macht dieser Bereich ein Drittel des Geschäftsvolumens der Apothekenkette aus.

Der größte US-amerikanische Krankenversicherer, die United- Health Group, hat schon Apotheken, Kliniken und andere Gesundheitsdienste aufgekauft. Und Express, einer der großen US-Rezeptabwickler, will versuchen, mit einer Krankenkasse zu fusionieren - wenn der Preis stimmt, wie man der Öffentlichkeit versichert.

Versicherer und Medikamentenverkäufer bereiten sich alle auf den Moment vor, an dem der Online-Shoppingriese Amazon in diesen Bereich eintritt. Es ist absehbar, dass Amazon über kurz oder lang auch auf dem Medikamentenmarkt auftauchen wird, mit seiner riesigen Erfahrung im Versandhandel und vielen Milliarden Dollar an liquiden Mitteln. Laut US-Medien soll Amazon bereits Gespräche mit Generikaherstellern geführt haben.

»Dieser Zusammenschluss sieht mir nach Verteidigung aus, wie immer man ihn betrachtet«, sagte Professor Ben Gomes-Casseres von der Universität Brandeis im Bundesstaat Massachusetts. »Zum einen zur Verteidigung gegen die Bedrohung durch Amazon, von der wir noch nicht viel wissen oder ob sie überhaupt kommt. Und zum anderen gegen das Entstehen von mächtigen Zusammenschlüssen in der Gesundheitsbranche.«

Noch ist allerdings nicht klar, ob die Kartellbehörden die Fusion überhaupt genehmigen werden. Bei CVS und Aetna ist man optimistisch, da beide Unternehmen technisch gesehen nicht in derselben Branche tätig sind.

Die Anleger an den Finanzmärkten reagierten zunächst verhalten auf die Fusionspläne. CVS-Aktien lagen am Montag vorbörslich mit 1,7 Prozent im Minus, Aetnas Papiere legten um 2,9 Prozent zu. Allerdings kommt der Plan auch nicht überraschend, US-Medien hatten bereits seit Wochen von Gesprächen berichtet. Analysten gehen zudem davon aus, dass Arzneimittelkosten und Versicherungsbeiträge durch eine Fusion eher sinken könnten.

Auch der US-Versicherungsmarkt ist hart umkämpft, weshalb Branchengrößen wie Aetna schon länger nach Fusionspartnern Ausschau halten. Im Januar 2017 musste der Konzern wegen Bedenken der Kartellwächter die milliardenschwere Übernahme des Rivalen Humana abblasen. Etwas später war der geplante Milliardenkauf des Krankenversicherers Cigna durch den Konkurrenten Anthem wegen kartellrechtlicher Verstöße untersagt worden.

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