»Undurchsichtig, ja bedrückend«

Dokumentenfund: Ein Brief von Thomas Mann zum Revolutionsjubiläum. Von Werner Abel und Raimund Waligora

  • Werner Abel und Raimund Waligora
  • Lesedauer: 4 Min.

Im Archiv der Kommunistischen Internationale (KI) In Moskau, das Bestandteil des Archivs der Russischen Föderation für Sozialpolitische Geschichte ist, befinden sich natürlich auch die Akten des Sekretariats Wilhelm Pieck. Dieser war nach der Inhaftierung Ernst Thälmanns nicht nur Parteivorsitzender der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD), sondern neben Palmiro Togliatti, Klement Gottwald, Otto Kuusinen, Ossip Pjatnitzki, Dolores Ibárruri und André Marty auch Sekretär des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale (EKKI). Pieck war zuständig für die kommunistischen und Arbeiterparteien in Iran, der Türkei, Griechenland, Albanien, Rumänien, Jugoslawien und Bulgarien. Trotz der offensichtlich immensen Arbeitsbelastung kümmerte er sich aber auch noch um die exilierten deutschen Schriftsteller, las, wenn möglich, deren Manuskripte, gab Ratschläge, entschied über Veröffentlichungen, versuchte, aufkommende Animositäten zu neu-tralisieren, und war im Grunde genommen zur politischen Instanz in kulturellen Fragen geworden.

In diesem Rahmen musste er, auch um der seit dem VII. Weltkongress der Komintern verbindlichen Volksfrontpolitik zu entsprechen, oft zwischen linksbürgerlichen Sympathisanten und den oft nicht einfachen Anforderungen der Kommunisten vermitteln. Die Situation hatte sich auch dadurch kompliziert, dass seit 1936 mit dem Terror in der Sowjetunion und den Schauprozessen gegen die alten Bolschewiki das Misstrauen und die Ablehnung seitens potenzieller Bündnispartner aus antifaschistischen bürgerlichen Kreisen zunahmen. In diesem Kontext müssen auch die Bemühungen um die Brüder Thomas und Heinrich Mann gesehen werden. Während Heinrich Mann den Kommunisten gegenüber durchaus aufgeschlossen war und bis zu einem gewissen Punkt auch an der Vorbereitung von Volksfrontausschüssen in Paris mitarbeitete, zeigte sich Thomas Mann erheblich reservierter. Vor allem Johannes R. Becher hatte versucht, Thomas Mann in die Sowjetunion einzuladen und für eine Mitarbeit z. B. an der Zeitschrift »Internationale Literatur« zu gewinnen. Am 18. Dezember 1936 antwortete der Schriftsteller, der zu dieser Zeit in Küsnacht im Kanton Zürich lebte, unverbindlich auf die Einladung Bechers: »Sobald ich frei bin von dringender Arbeit und früher eingegangener Reise-Verpflichtungen besuche ich die Sowjet-Union.« Entschiedener lehnte er eine Mitarbeit an der Zeitschrift »Internationale Literatur« ab. Becher hatte ihn um einen Artikel zum fünften Jahrestag der Bücherverbrennung der Nazis gebeten. Mann argumentierte, er habe in der mit Konrad Falke gegründeten Zeitschrift »Mass und Wert« ein eigenes Medium, überdies solle man solche Schandtage nicht feiern. Offen und ehrlich fügte er hinzu: »Sie kennen meine geistige Herkunft und meine persönliche Lebensstimmung und erwarten nicht von mir, dass ich die streng marxistische Gebundenheit, von der alle Beiträge Ihrer Zeitschrift Zeugnis geben, ganz als das mir Gemäße empfinde.« Becher gab alle diese Briefe Pieck zur Kenntnis.

Zieht man seine Haltung zur »Internationalen Literatur« in Betracht, so ist es umso verblüffender, dass sich in den Akten des Sekretariats Pieck die Abschrift eines Briefes befindet, den Thomas Mann am 27. Oktober 1937 aus Anlass des 20. Jahrestags der Oktoberrevolution an die »Deutsche Zentralzeitung« (DZZ) in Moskau schrieb. Dieser, hier abgedruckte Brief dürfte im Jubiläumsjahr der russischen Oktoberrevolution besondere Aufmerksamkeit erfahren.

Die DZZ erschien seit 1926 und war zunächst für sowjetische Staatsbürger deutscher Nationalität bestimmt. Mit der Zunahme des deutschen Exils in der UdSSR änderte sich das, und sie wurde nun auch von Emigranten gelesen. 1937 betrug ihre Auflage 40 000 Exemplare, 2000 gingen ins Ausland, wo die Zeitung von Intellektuellen wie Bert Brecht, Lion Feuchtwanger und Ernst Toller als Informationsquelle geschätzt wurde. Vielleicht war das auch Grund für Thomas Mann, sich an diese Zeitung zu wenden. Nachdem die legendäre Chefredakteurin Julia Annenkowa am 31. Mai 1937 verhaftet worden und ihr Nachfolger Karl Kürschner (eigentlich Karczi Garai) im Oktober des Jahres vom gleichen Schicksal betroffen war, hatte es vermutlich der kurzzeitig amtierende Richard Grewe nicht gewagt, diesen Brief zu drucken. Offensichtlich war Ernst Fabri, der Literaturverantwortliche im Feuilleton, das von Hugo Huppert geleitet wurde, beauftragt worden, eine Abschrift für das Sekretariat Pieck anzufertigen. Dass die Abschrift von ihm stammt, lässt sich aus dem handschriftlichen Eintrag rechts oben auf dem Brief ablesen.

Die DZZ hatte der Bibliografie von Simone Barck zufolge fünf Beiträge von Thomas Mann veröffentlicht, dieser Brief war nicht dabei. Mehr noch: Er ist in keiner Ausgabe seiner Briefe enthalten, in keinem Register vermerkt. Möglichen Zweifeln, dass Thomas Mann diesen Brief tatsächlich schrieb, steht die Erfahrung entgegen, dass zu dieser Zeit es niemand gewagt hätte, Pieck eine Fälschung unterzuschieben. Sind es die in der Abschrift vorgenommenen Unterstreichungen, die letztlich eine Veröffentlichung des Grußes von Thomas Mann unmöglich machten?

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