Sachsens neue Spitze

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Vergnügen war kurz, dann wartete die Arbeit, genauer: deren unangenehme Seite. Nur eine Dreiviertelstunde nach erfolgreicher Wahl zum sächsischen Ministerpräsidenten, nach Sekt, Blumen und Geschenken, stand Michael Kretschmer im Dresdner Landtag erstmals am Rednerpult. Der frisch gekürte Regierungschef sprach in einer Debatte zu Plänen des Siemens-Konzerns, der Tausende Jobs streichen und zwei Werke komplett schließen will - beide im Freistaat. Dass sich ein Großkonzern »einfach vom Acker macht« und hochgradig wettbewerbsfähige Niederlassungen wie in Leipzig und Görlitz abwickelt, das, sagte Kretschmer, »können wir uns nicht bieten lassen«.

Die Sachsen werden sehr genau beobachten, ob den entschlossenen Worten des Amtsneulings auch Taten folgen. Nicht zuletzt davon wird es abhängen, ob das Kalkül der CDU aufgeht, durch einen Personalwechsel inmitten der Wahlperiode rechtzeitig vor der Landtagswahl 2019 das Vertrauen der Wähler zurückzugewinnen. Die seit 1990 ohne Unterbrechung regierende Partei hatte bei der Wahl des Bundestages Ende September knapp hinter der AfD gelegen und damit erstmals in Sachsen eine wichtige Wahl verloren. Als Konsequenz hatte der seit neun Jahren amtierende Regierungschef Stanislaw Tillich seinen Rücktritt erklärt und Kretschmer als Nachfolger vorgeschlagen, obwohl dieser kurz zuvor sein Berliner Direktmandat an einen AfD-Mann verloren hatte. Am Samstag war der erst 42 Jahre alte Görlitzer bereits zum Landesvorsitzenden der CDU gewählt worden.

Davon, dass er die richtige Wahl ist, sind auch in der Koalition aus CDU und SPD offenbar nicht alle überzeugt. Zwar erzielte Kretschmer bereits im ersten Wahlgang die erforderliche Mehrheit. Allerdings kam er nur auf 69 Stimmen; es gab 48 Gegenstimmen bei zwei Enthaltungen und drei ungültigen Stimmscheinen. CDU und SPD verfügen indes zusammen über 77 Mandate; mindestens acht Stimmen aus den eigenen Reihen fehlten also. Die Opposition aus LINKE, Grünen und AfD, die in Summe über 44 Mandaten verfügen, hatte vorab angekündigt, Kretschmer ihre Stimmen vorzuenthalten. Fünf AfD-Abweichler um Ex-Parteichefin Frauke Petry hatten sich nicht zu ihrem Stimmverhalten geäußert. Die LINKE kommentierte Kretschmers Wahl auf Plakaten, die am Ufer der Elbe zu sehen waren, sarkastisch als »Krönung der ›sächsischen Demokratie‹«.

Kretschmer erklärte nach seiner Wahl, er reiche seine Hand auch denen, die ihn »heute nicht wählen konnten«. Ob das auf einen weniger ideologischen Umgang im Landtag hindeutet - und wenn ja: in Richtung welcher politischen Lager -, wird gespannt beobachtet. Gleiches gilt für sein Bekenntnis zu Sachsen als »freundlichem, weltoffenem, lebenswertem Land«. Auf dem CDU-Parteitag hatte er für eine deutlich rigidere Zuwanderungspolitik plädiert. Er habe sich so als »verlängerter Arm einer selbstgenügsamen rechtskonservativen Weltanschauung präsentiert«, sagte LINKE-Fraktionschef Rico Gebhardt, der Kretschmer deshalb zum Amtsantritt das Buch »Unter Sachsen« überreichte, eine schonungslose Analyse der Stimmungslage im Freistaat. Die Grünen überreichten eine mit einer Regenbogenfahne dekorierte Sonnenblume.

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