Eis auf den Gipfeln

Im Kino: »Drei Zinnen« von Jan Zabeil

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 4 Min.

Am Anfang tobt ein dunkelhaariger Junge mit einem blondbärtigen Mann im Schwimmbad herum. Hinter dem Schwimmbad liegt ein See, es ist Sommer, Mama ist auch dabei. Mama und der bärtige Mann reden darüber, nach Paris zu ziehen. Man spricht diverse Sprachen, Mann und Junge Deutsch, Mama und Junge Französisch, Mama und Mann mal Englisch, mal Deutsch. Der Blondbärtige bringt dem Jungen das Schwimmen bei, und alles scheint gut. Aber als der Mann mit Mama die Wasserrutsche besteigt, will der Junge nicht mit. Zurückgelassen, verheißt sein Blick auf das lachend entschwindende Paar wenig Gutes.

Nächste Etappe des Familienurlaubs: eine Wanderung im Wald, die Ankunft auf der Hütte. Hier oben ist die Temperatur kühler. Trotzdem erst einmal: der Blick auf die Berge, Familienglück. Dann klingelt das Handy, und mit der Ruhe ist es vorbei: Nun spricht der Junge Englisch. Und lügt darüber, von wem er da eben das Schwimmen lernte: Nein, sagt er, es war der Schwimmlehrer im Schwimmbad. Erst später wird man erfahren, dass hier der biologische Vater das Kind aus seiner neuen Familienidylle riss, und ganz allmählich verstehen, dass der Bärtige (Alexander Fehling) es wohl schwer haben wird, sich einen festen Stand zu verschaffen, wo so wenig Raum für ihn geschaffen wird.

Fehling war schon in Jan Zabeils Erstling (»Der Fluss war einst ein Mensch«) ein Mann auf der Reise - nach Afrika. Als bärtiger Aaron in Südtirol ist er in »Drei Zinnen« ein patenter, liebevoller, engagierter Vater. Oder wäre es gerne, wenn man ihn ließe. Aber auch Mama (Bérénice Bejo) hält ihren Freund, dessen Muttersprache der Junge sich längst angewöhnt hat, davon ab, dem Kind ein Vater zu sein. Weil es im Hintergrund ja George gibt, den englischsprachigen »richtigen« Vater, den sie für den Blondbart aber schon vor Jahren verließ. Und dann begeht Léa auch noch den Fehler, ihren Sohn Tristan (Arian Montgomery) um Erlaubnis zu bitten, bevor sie und Aaron beginnen, ein gemeinsames Kind zu planen.

Dass Tristan nicht Aarons leiblicher Sohn ist, dass Aaron ihn eben nicht geschaffen hat, dass das eigentlich das einzige Problem und sonst zwischen ihnen alles gut zu sein scheint, macht ein Augenblick deutlich, der eigentlich schon das Ende des Films sein könnte - wenn es denn dabei bliebe. Da inszeniert Zabeil erst einen »E. T.«-Moment, bei dem sich die Fingerspitzen von Mann und Kind in der Steinwüste unterhalb der Drei Zinnen beinahe berühren, wie die von Adam und Gott in Michelangelos vatikanischem Fresko. Aber eben nur beinahe. Und dann, noch in derselben Szene, nennt Tristan Aaron »Papa«. Und der strahlt mit einem inneren Licht, das mehr als tausend Worte deutlich macht, was dieser Vater und dieser Sohn aneinander haben könnten, wenn Tristans leibliche Eltern es denn zuließen.

Die Drei Zinnen, das sind drei Gipfel in den Dolomiten: die Große Zinne, die Westliche und die Kleine. Vater, Mutter, Kind, wie der Sohn sie nennt, eine Kleinfamilie - dann aber George an der Stelle sehen will, wo in seinem Leben Aaron steht. Die Berghütte, in der Léa, Aaron und Tristan ihren Sommer verbringen, steht unter diesen Zinnen. Er hackt Holz, erklärt dem Jungen die Berge, macht den Haushalt und musiziert. Sie liest und schreibt. Und Tristan schläft in jeder Nacht in ihrem Bett.

»Drei Zinnen« ist ein Film der Doppelungen und wieder aufgegriffenen Motive. Der stillen Freude und der stillen Verzweiflung. Ein bildschöner Film. Ein mehrsprachiger, aber zugleich ganz ruhiger Film. Ein Film über ausschließlich menschengemachte Probleme, und die sind von sehr persönlicher und ganz sicher nicht weltbewegender Bedeutung. Keine menschengemachte Klimaveränderung hier, obwohl vom Schmelzen des Schnees an den Hängen der Zinnen einmal die Rede ist - aber das hat mit dem Stand der Sonne zu tun. Keine Kriege, politischen Verwerfungen oder wirtschaftlichen Zwänge.

Ein Film über eine Gluckenmutter, die sich, ihrem Partner und dem eigenen Sohn eine Beziehung verdirbt, die zu den glücklicheren hätte zählen können. Und ein Kind, dem die Grenzen fehlen, und das deshalb zum machtheischenden Monster wird.

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