»... dann kriege ich die Panik«

Viele haben Angst vorm Fliegen, doch dagegen gibt’s ein »Mittelchen«

  • Anke Pedersen
  • Lesedauer: 7 Min.

Zittern, Herzrasen, Atemnot, Schweißausbrüche, Übelkeit. Es ist immer das Gleiche: Sobald für Fachinformatiker André eine Flugreise ins Haus steht, bekommt er Herzflattern. »Schon der Gedanke an das Schild ›Flughafen‹ und den Geruch von Kerosin reichen aus«, so der 26-Jährige, »und ich kann schon Tage vor dem Flug nicht mehr schlafen.« Am Tag X schließlich sitzt er starr vor Angst auf seinem Platz im Flieger, lauscht auf jedes verdächtige Geräusch, wartet auf schwerwiegende Turbulenzen und Luftlöcher und ist sich völlig sicher, »dass wir nicht heil ankommen werden«.

Da ist er nicht die Einzige. Experten gehen davon aus, dass mindestens zwei Drittel aller Menschen Angst haben vor dem Fliegen, genauer: vor dem Absturz. Zwar haben sie dazu laut Statistik keinen unmittelbaren Grund: Allein in Deutschland verlassen jährlich mehr als 70 Millionen Passagiere lebend ein zuvor bestiegenes Flugzeug. Doch schon der kleinste Vorfall bestätigt die Angstpatienten in ihrer Skepsis gegenüber der Luftfahrt.

Es gibt jedoch genug Flugphobiker, die dennoch ein Flugzeug besteigen müssen - oder wollen. Aus geschäftlichen Gründen wie Christian, der Siemens-Ingenieur: »Wenn ich die Brasilienreise nächstes Jahr nicht antrete, dann kann ich meine Karriere gleich abschreiben.« Oder aus privaten Gründen wie Melanie: »Ich habe auf die Angst keine Lust mehr.« Um diese Menschen entspannt an ihr Ziel zu bringen, haben Experten Bücher geschrieben, Leitfäden erarbeitet, Hypnosen erdacht und Entspannungsmethoden entwickelt. Am nachhaltigsten aber sind die Seminare, mit denen die Airlines selbst der Angst zu Leibe rücken: Bei der von der Lufthansa beauftragten Agentur Texter-Millott zum Beispiel liegt die Erfolgsquote bei 95 Prozent.

Seit 1981 haben die Münchner Tausende von ihrer Phobie befreit. Gitta zum Beispiel: Die Layouterin träumte davon, sich in einem Hubschrauber über dem Grand Canyon das Ja-Wort zu geben. Doch weder der Richtige noch sein Antrag konnten sie dazu bewegen, ihren Traum zu verwirklichen. Dazu bedufte es erst eines Besuchs im »Seminar für entspanntes Fliegen«. Die zweitägigen Schulungen unter der Leitung eines Psychologen bestehen aus vorbereitendem Training, einemGespräch mit einem Piloten, einer Flugzeugbegehung sowie einem abschließenden Flug. »Danach fühlte ich mich wie neugeboren«, strahlt Gitta noch anderthalb Jahre später.

Anders als allgemein angenommen, sind Teilnehmer an Flugangstseminaren vor allem Menschen, die mit dem Fliegen schon ihre Erfahrungen gemacht haben. Zum Beispiel Wolfgang: Voller Begeisterung ist der Zahnarzt jahrelang um die Welt gejettet. Seine Arglosigkeit änderte sich schlagartig, als er sich vor einigen Jahren selbstständig machte. »Plötzlich war da nur noch Angst.« Und Vielfliegerin Anna ertappte sich nach ihrer tausendsten Turbulenz: »Auf einmal höre ich mich zur Stewardess sagen: ›Ich möchte jetzt gerne aussteigen.‹«

Anders Christian. Ein einziger Flug reichte aus, um seine Lust an der Luft nachhaltig zu zerstören: »Beim Anflug auf die Insel gab es massive Pro᠆bleme«, schildert er seinen Trip nach Griechenland. »Danach bin ich lieber Tausende von Kilometern mit dem Auto gefahren, als mich noch ein einziges Mal in ein Flugzug zu setzen.« Nur etwa 14 Prozent aller Seminarteilnehmer sind dagegen noch niemals geflogen. Wie Melanie: »Ich muss nur daran denken, und schon spielt mein ganzer Körper verrückt.«

Das zu verhindern, ist Aufgabe der Agentur Texter. Die Teilnehmer lernen, woher ihre Furcht rührt und wie sie ihr entfliehen können. Erklärtes Ziel: Die Angst beim Fliegen auf ein erträgliches Maß zu reduzieren. »Denn es ist eher unwahrscheinlich«, so die Erfahrungen von Psychologin Gabriele Lengle, »dass sie überhaupt keine Angst mehr haben.«

In einem ersten Schritt, so Lengle, »erklären wir den Teilnehmern, wie Angst funktioniert.« Dass Angst ebenso gelernt wie auch wieder verlernt werden kann. Und dass sie das Resultat einer verzerrten Bewertung von Situationen ist. In einem nächsten Schritt lernen die Teilnehmer etwas über die verschiedenen Formen der Angst und ihre körperlichen Auswirkungen: Fürchten sich die einen vor der Höhe oder vor der Enge, hassen es andere, dem Piloten ausgeliefert zu sein, oder sie quält das Gefühl der Hilflosigkeit. Zum Beispiel Uwe. Eigentlich fliegt der technisch versierte Berater gern. Und viel. Wenn aber Unerwartetes geschieht, eine Turbulenz etwa, »dann kriege ich die nackte Panik«. Da hilft es auch nicht zu wissen, »dass Flugzeuge eigentlich sicherer sind als die Bahn oder das Auto«. Denn sein Körper wird nicht vom Kopf gesteuert, sondern von einem Programm, das noch aus der Zeit der Neandertaler stammt.

Eben dieses Programm wird durch die moderne Psychologie ausgehebelt: Von dem Moment an, da ein Auslöser meldet: »Jetzt fürchten!«, dauert es nämlich noch geschlagene 30 Sekunden, bis Puls, Atmung, Stoffwechsel und Muskeln hochgefahren sind. Erst dann ist der Körper bereit für Kampf oder Flucht. Zeit genug also, um Gegenmaßnahmen einzuleiten. Dabei baut nicht nur die Agentur Texter auf systematische körperliche Entspannung durch bewusste Atmung und progressive Muskelentspannung: »Angst funktioniert wie ein Kippschalter«, sagt Gabriele Lengle. »Entweder man hat Angst oder man ist entspannt - beides gleichzeitig geht nicht.«

Befürchtungen, die Entspannungsübungen an Bord einer Maschine könnten die peinlich berührten Blicke eines Sitznachbarn provozieren, zerstreut die Kölnerin mit einem überlegenen Lächeln: »Muskelentspannung ist eine hervorragende Übung gegen Reisethrombose.«

Warum aber bekommt ein Passagier mit langjähriger Flugerfahrung plötzlich Angst? Es gibt Phasen, erklärt Lengle, da liegen die Nerven vieler Menschen schlichtweg blank - kurz vor dem Urlaub etwa, nach dem Tod eines geliebten Menschen oder nach einem Jobwechsel. Da bedarf es oft nur noch des berühmten Tropfens - und plötzlich erfolgt die irrationale Neubewertung einer eigentlich vertrauten Situation. Bei manchen ist dieser Tropfen die Turbulenz, bei anderen die Nachricht eines Absturzes. Ziel des Seminars ist daher die Neubewertung der Situation »Fliegen«.

Sonntag, Flugtag. Optimismus liegt in der Luft und Skepsis. »Denken Sie an Goethe«, fordert Gabriele Lengle, »der ist so lange auf einem Turm geblieben, bis er seine Höhenangst verlor.« Ingenieur Christian ist sich bis kurz vor dem Testflug nicht sicher, ob er diesen schaffen kann. Doch schon Minuten nach der Landung entspannen sich seine Gesichtszüge, leuchten seine Augen: »Tierische Glücksgefühle!«, ruft er wie von einer Tonnenlast befreit. »Es war nichts von alldem, was ich mir vorher ausgemalt habe.« Und Uwe, der Skeptiker, ist vollkommen »überrascht, wie gut man mit dieser Entspannungstechnik entspannen kann«.

Beinahe noch hilfreicher als die Übungen zur Muskelentspannung aber war für die »Flugschüler« die Begegnung mit einem Piloten. Von ihm lernen sie, warum einem Flugzeug gar nichts anderes übrig bleibt, als zu fliegen, dass man Gewitter »umfliegt wie einen Berg« und dass - für den Fall der Fälle - selbst der Jumbo zum Segelflugzug taugt: »Der fliegt noch locker 2000 Kilometer.« Vor allem aber sei immer alles doppelt, dreifach und vierfach angelegt: zwei Triebwerke, Zwillingsreifen und so weiter. »Das macht Fliegen so sicher.«

»Ja aber, wenn nun eine Turbulenz ...« Uwe will es ganz genau wissen. »Nein, mir sind keine Fälle von Abstürzen wegen Turbulenzen bekannt«, sagt der Pilot. Schließlich sei das Vibrieren des Flugzeugs in der Luft auch nichts anderes als das Fahren mit einem Auto auf einer Schotterstraße. »Es kommt einem im Auto auch viel schlimmer vor, als es in Wirklichkeit ist.« Und um ein Bild aus der Nautik zu bemühen: »So wie der Seegang zur Schifffahrt gehört, gehört die Turbulenz zur Luftfahrt.« Das Einzige, was bei einer Turbulenz wirklich gefährlich ist, seien schwere Gepäckstücke in der Ablage im Gepackfach, die herausfallen und jemanden verletzten könnten.

Was aber, wenn wieder ein Unglück tagelang bildreich durch die Nachrichten gejagt wird? Die Teilnehmer haben gelernt, das so etwas »immer eine Verkettung von Ursachen ist«, erklärt Texter-Mitarbeiter Thomas Sascha. »Die Wirkung des Seminars wirft so ein Vorfall nicht zurück auf null.«

Die inzwischen glücklich verheiratete Gitta kann das nur bestätigen: Zwar wird die Fliegerei »niemals meine Lieblingsbeschäftigung werden«. Dafür aber verwandelt diese sie auch nicht mehr in ein angststarres Nervenbündel. »Und das war es wert.«

Infos

»Seminar für entspanntes Fliegen«: Agentur Texter-Millott Tel.: (089) 39 17 39 www.flugangst.de

Koordinierungsstelle für Flug- und Reisemedizin: Tel.: (0211) 5 16 16 00
www.bad-gmbh.de

Literatur: Jürgen Heermann, »Warum sie oben bleiben – Ein Flugbegleiter für Passagiere. Vom Start bis zur Landung«, Insel Taschenbuch, 9,99 €

Frank Littek, »Fliegen ohne Angst«, Reise Know-How Verlag, 8,90 €

Ahmet Bayaz, Rudolf Krefting, »Angsfrei fliegen – Das erprobte Step-by-Step-Programm«, Trias Verlag, 14,99 €

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