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Besser sterben

Berliner Theatertreffen: Das VR-Spektakel »[EOL]. End of Life« fragt nach den digitalen Überbleibseln nach dem Tod

Immer schön hinter der Linie bleiben: virtuell Reisende in »[EOL]. End of Life«
Immer schön hinter der Linie bleiben: virtuell Reisende in »[EOL]. End of Life«

»Wenn zwei sich kloppen, das ist Drama«, wusste der Theatermacher Einar Schleef klarzustellen. Aber das Drama findet auf Theaterbühnen bekanntlich immer seltener statt: Es hat erzählenden und dokumentarischen, installativen und performativen Formen längst Platz gemacht. Das gilt auch für »[EOL]. End of Life«, diese »virtuelle Ruinenlandschaft«, wie es im Untertitel heißt, die zum Berliner Theatertreffen eingeladen worden ist und nun im Martin-Gropius-Bau besichtigt werden kann.

Hier kloppt sich niemand, höchstens der Zuschauer mit der Technik. Das Geschehen ist in den virtuellen Raum verlegt. Die Frage mag etwas piefig daherkommen, aber sie drängt sich auf: Ist in diesem Fall vielleicht nicht nur das Drama abhandengekommen, sondern hat man es womöglich gar nicht mit Theater zu tun?

Die Grundverabredung, dass der eine mit dem anderen spielend interagiert, während ein Dritter zuguckt, ist aufgehoben. Das Geschehen findet in Animationen statt. Wenn hier jemand leibhaftig spielt, dann ist es, mit Kopfhörern und VR-Brille ausgestattet, der Zuschauer – oder sollte man sagen: Teilnehmer? – selbst.

Um darstellende Kunst handelt es sich wohl nur im allerweitesten Sinn. Irgendwo zwischen Animationsgestaltung, virtuellem Parcours und Game-Design, von dem zum Teil auch lautstark gefordert wird, es möge endlich als Kunstform anerkannt werden, wäre die Veranstaltung sicher besser beschrieben. Ästhetische Kriterien müssen für diese Art Spektakel wohl erst noch gefunden werden.

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»[EOL]. End of Life«, das das Regie-Duo Darum in Koproduktion mit dem Brut Wien erarbeitet hat, führt für etwa 90 Minuten in eine andere Welt. Im Auftrag eines fiktiven Tech-Unternehmens besichtigt der vereinzelte Zuschauer verwaiste virtuelle Welten, um darüber zu entscheiden, ob diese in ein neues Metaversum transferiert werden sollen oder Löschung anheimfallen müssen.

Fragen nach den digitalen Hinterlassenschaften Verstorbener stellen sich so wirkungsvoll her. Bald aber verselbstständigt sich die virtuelle Reise und aus dem eher technischen Vorgang, der über die Löschung der Daten entscheidet, wird eine unmittelbare Konfrontation mit Verstorbenen, die vor allem emotional ergreift.

Wer, wahrscheinlich noch im post-virtuellen Taumel, am Ende von der Brille befreit wird und ähnliche VR-Experimente bereits zuvor mitgemacht hat, wird feststellen, dass dieses Spektakel aus Wien technisch ausgereifter ist und, falls das Wort erlaubt ist, »fehlerfrei« abläuft, aber auch dramaturgisch ausgefeilter ist, weil es nicht ausschließlich auf Effekte setzt, sondern eine Geschichte zu erzählen versucht.

Trotzdem hinterlässt »[EOL]. End of Life« beim Kritiker ein doppeltes Unbehagen. Da ist zum einen das körperliche Unwohlsein, das einen Teil der Zuschauerschaft bei VR-Ereignissen überkommt. Leicht verkopfschmerzt, ein wenig kalter Schweiß auf der Stirn und ein flaues Gefühl in der Magengegend – es ist wie am Morgen nach einer Nacht mit etwas zu reichlich Gin Tonic. Mit dem Unterschied, dass man auf das gustatorische Vergnügen mitsamt Rausch gar nicht gekommen ist.

Der andere Aspekt betrifft immersive Erlebniswelten, wie sie auch VR-Inszenierungen herstellen, im Allgemeinen. Ohne jede Zurückhaltung werden die großen Emotionen aufgerufen, wie es im »klassischen« Schauspielertheater kaum jemand wagen würde. Das Übermaß an Pathos sollen die Zuschauer, von der technologischen Ausgefeiltheit überrumpelt, leichtfertig verzeihen. Aber gehört zur Schönheit des Theaters nicht auch sein analytisches Vermögen? Treten hier Künstler nicht weit hinter die Brecht’sche Revolution zurück? Ein Theater im wissenschaftlichen Zeitalter ist das nicht, eher die Kunstform für eine wiederverzauberte Welt.

Vorstellungen im Rahmen des Theatertreffens: 10. bis 12. und 14. bis 18.5.
www.berlinerfestspiele.de

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