Menschenleber mit Bohnen und Chianti

Diesen Sonntag wird der Schauspieler Anthony Hopkins 80 Jahre alt

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 5 Min.

Vom »Schweigen der Lämmer« auf die DDR zu schließen, muss natürlich als Krampf abgetan werden, selbst wenn man im dortigen gesellschaftlichen Grundverhalten einen triftigen Anlass zu diesem tierischen Assoziationspfad sehen möchte: flächendeckendes Stillhalten und stiere Duldsamkeit. Aber einen Bezug zwischen dem modernen Klassiker des Horrors und dem deutschen Osten gibt es tatsächlich. Denn wer weiß, wie der Weg von Anthony Hopkins verlaufen wäre, hätten nicht Manfred Wekwerth und Joachim Tenschert 1971, am Britischen Nationaltheater des Laurence Olivier in London, Brechts Shakespeare-Bearbeitung »Coriolan« inszeniert.

Die Titelrolle war mit Christopher Plummer besetzt. Der Weltstar bemerkte zu seinem heftigen Verdruss, dass die Plebejer in dieser Inszenierung mehr sein würden als nur die gewohnten Stichwortbringer für Seine Heiligkeit. Plummer spielte nicht den Coriolan, er benahm sich so. Abbruch der Proben. Die Regisseure setzten sich durch. Den Römer gab nun ein Darsteller aus der hinteren Reihe, der Wekwerth und Tenschert aber vehement aufgefallen war. Ein noch wenig beachteter Waliser sorgte für Jubelstürme: Anthony Hopkins.

Zwei aus der DDR brachten ihn erstmals ins wirklich wirksame Rampenlicht. Zwar hatte er bereits im Film gespielt, aber dort sofort erfahren, was ihm während seiner Laufbahn mehrfach widerfahren sollte: Er blieb trotz seiner faszinierenden Unheimlichkeit oft im Schatten, ob von Peter O’Toole (»Der Löwe im Winter«) , ob von John Hurt, John Gielgud (»Der Elefantenmensch«), ob von Dirk Bogarde, Sean Connery, Gene Hackman (»Die Brücke von Arnheim«). Den Bäckersohn hat das in tiefe Krisen gestoßen. Alkohol, Depressionen, Aggressivität.

Mit dem Hannibal Lecter im besagten Film »Das Schweigen der Lämmer«, der fünf Oscars erhielt, kam Anfang der Neunziger der internationale Durchbruch. Hopkins als promovierter Kannibale: Menschenleber, wie pikant - mit Bohnen, dazu einen Chianti. Die Stimme lüstert dem Genuss geradezu nach. Das Gesicht sehr weiß, unter einem Licht, das im Kino ein Privileg der Vamps und der Wahnsinnigen ist. Hopkins als männliche Diva des Überwahnsinns. Spiel in der Enge eines Glaskäfigs, mit Beißkorb, teils in Zwangsjacke. Nur sechzehn Minuten Film hat dieser Lecter, ist aber wohl für immer: lebendige Kinogeschichte.

Im Grunde war auch diese Rolle, wie der Coriolan, mit einem Zufall verbunden, der zur Fügung wurde. Regisseur Jonathan Demme gelang es einfach nicht, Hopkins beim Produzenten durchzusetzen. Ein Fight, ein Machtkampf. Auch um die weibliche Hauptrolle. Demme wollte Michelle Pfeiffer, der Regisseur bockte, der Produzent schlug einen Deal vor: »Wie wär’s - Sie nehmen Jodie Foster und ich akzeptiere Hopkins?« So werden Schauspieler zu den verletzlichsten Kindern der Kunst: jede Besetzungsliste wie eine neue Geburtsurkunde; die Abhängigkeit als fortgesetzter Störfall der Selbstbestimmung.

Hopkins war im Kino nicht nur Rabin und der Heilige Paulus, sondern auch Hitler, Nixon, Mussolinis Schwiegersohn Ciano. Sie alle durften in seinem Spiel ihre Wahrhaftigkeit fühlen. Größte Versuchung im Bösen: Der Schock des Abstoßenden löst sich auf im Magnetismus der Anziehung, und die Spur zum Leben hin darf eine Lunte sein. Im Ausdruckswesen von Hopkins manövert gern eine tückische Ruhe, ein abgründiges Lauern - so warten Krokodile hundert Jahre auf Beute, und die hundert Jahre nehmen dem Tier nichts von seiner Überfallskraft auf die Sekunde genau. Hopkins verweigert auf dämonische Weise alle Hitzigkeit, er wartet vor der Kamera, bis die sich nimmt, was sie aufspürt - hinter Fassaden aus scheinbarer Absichtslosigkeit und grienender Einfalt.

Sein Butler Stevens in »Was vom Tage übrig blieb«: Porträt einer total falschen Existenz, von Hopkins mit erschütternder Eisigkeit gespielt. Eine tote, beflissen dienende Seele, kein Mit-, kein Selbstgefühl. Am Ende das Schlimmste: die Erkenntnis, nicht gelebt zu haben. Man meinte, in diesen Film strömten, tiefnachts, zur Sondervorstellung, die kalten Totenstatuen der Welt: Ja, so sehen wir aus, so sind wir - ach, endlich ein Schauspiel, bei dem wir Versteinerten über uns weinen können.

In Woody Allens »Ich sehe die Frau deiner Träume« gab er einen Senior, der sich dem Hochleistungsstress einer Huren-Liebe hingibt. Pillen, Fitnessstudio, wieder Pillen: eine schweißüberströmte Mannsruine; im falschen Schein, den dieser Möchtenochmalgern angestrengt aufbaut, kann er nur erbärmlich verdämmern. Mit Durchhalteparolen wird ins Bett gestiegen, nicht sicher, ob man sich zur jungen Frau legt oder doch schon ins Sterben sinkt. Ein toll-komisches Gleichnis auf die Mitmischmentalität im Alter. Könige klebten am Thron, bis Shakespeare seine witzigen Mörder schickte. Generalsekretäre vergreisten im Amt, bis der Charakter ganzer Völker mit verdorrt war. Fast nie ein souveräner Abgang, immer muss ein äußerer Druck stärker sein als jener Gemütsstarrsinn, sich als unentbehrlich zu empfinden. Diese Angst, Leben loszulassen, das es doch gar nicht mehr gibt.

Festlegung aufs Fiese, typfixierte Lieblosigkeit bei Besetzungen haben ihn nie gestört. Er kam, sah und spielte. Sah manchmal gar nicht erst hin und spielte trotzdem. Ein sanfter Zyniker des Gebrauchswertes. Vorwiegend ans Schmerzhafte bindet er seine Anziehungskraft, aber er zeigt nicht den Schmerz, sondern die geradezu höfliche oder teuflisch heitere Entschlossenheit, dass das niemanden anginge. So geschah es, dass er noch im innigsten Zusammenspiel hermetisch wirkt. Und er seine Frostigkeit mit einem Hochmut versieht, den man vielleicht mit dem Wahnwitz einer Flaumfeder vergleichen kann, die lächelnd beschließt, sich ausgerechnet im Tornado heimisch einzurichten.

Dass das Böse existiert, zeigen viele Schauspieler. Hopkins erhielt von der Natur die Gabe, nicht nur das Schlimme, sondern auch das Schlimmere offenzulegen: Es gibt keine Chance, es zu besiegen - nicht das Böse, nicht das Unglücklichsein. Wenn Hopkins spielt, schaut der Schrecken der Welt zu, was er von diesem Künstler noch lernen kann. Wer ihm zuschaut, erfährt: Wir bleiben einsam. Aber sind doch nie so einsam wie er. Wenigstens dies. So wird just der Dämon zum Tröster. Grausam. Grandios. Morgen wird Anthony Hopkins 80 Jahre alt.

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