Alles Mist mit dem Sperrmüll

Ein gehandicapter Mann will seine alte Matratze loswerden, doch der kostenlose BSR-Recyclinghof ist unerreichbar

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Weihnachtsgeschenk war für Holger Höfer (Name geändert) aus Marzahn maßgeschneidert: Seine Eltern hatten dem 40-jährigen Sozialarbeiter, der nach einer Krebserkrankung noch nicht wieder erwerbsfähig ist und von Sozialleistungen lebt, eine neue Matratze geschenkt. Eine, auf der man keine Rückenschmerzen bekommt. Eine Entlastung für Holger Höfer, der den größten Teil des Tages im Bett liegen muss. Seine Eltern waren zu Weihnachten aus Thüringen zu Besuch gekommen und hatten die Matratze von einem Berliner Möbelhaus anliefern lassen.

Die alte Matratze steht währenddessen unter dem Fenster seiner kleinen Marzahner Wohnung. Dort soll sie eigentlich nicht bleiben. Doch mit der Frage, wohin mit der alten Matratze, ist Holger Höfer überfordert.

Eine ausgediente Matratze ist Sperrmüll und gehört damit nicht in die Müllanlage vor dem Haus. Das weiß der 40-jährige. Und das sagt auch Sabine Thümler, die Sprecherin der Berliner Stadtreinigung (BSR). »Wir haben 15 Recyclinghöfe in Berlin, zu denen man seinen Sperrmüll zu den Öffnungszeiten bringen kann. Bis zu drei Kubikmeter nehmen wir kostenlos entgegen.«

Doch hier scheinen zwei Welten aufeinanderzuprallen, die nicht zusammenpassen. Um zum Recyclinghof zu kommen, braucht man ein Auto. Viele Berliner haben aber keins oder ein so kleines, das zwar in Parklücken passt, mit dem man aber nichts transportieren kann. Holger Höfer zum Beispiel hat sich bewusst gegen den fahrbaren Untersatz entschieden - auch, als das noch keine finanzielle Entscheidung war. »Eigentlich wäre der nächste Recyclinghof nicht so weit von meiner Wohnung entfernt«, sagt Höfer. »Aber die Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist eine Katastrophe. Vom S-Bahnhof Mehrower Allee aus müsste ich 15 Minuten laufen - wenn ich gesund wäre und keine Matratze schleppen müsste. So aber schaffe ich das nicht.«

Sabine Thümler weist darauf hin, dass ihr Unternehmen Sperrmüll auch abholt. Kostenlos ist der Service natürlich nicht. Mit 50 Euro müsste Holger Höfer rechnen. Das ist schon der günstigste Tarif, bei dem man die Abholzeit nicht frei wählen kann. »Dafür nehmen wir bis zu fünf Kubikmeter Müll mit«, sagt die BSR-Sprecherin. Deutlich mehr also als eine Matratze. »Da können sich Nachbarn zusammentun, wenn sie auch etwas zu entsorgen haben und die Kosten teilen«, so Sabine Thümler.

50 Euro für die Müllentsorgung sind im Sozialhilfesatz allerdings nicht vorgesehen, weiß der Sozialarbeiter Holger Höfer. Warum kann die BSR nicht einfach den Sperrmüll in den Wohngebieten zu festgelegten Zeiten abholen?

Das wäre kein Beitrag zu einer sauberen Stadt, findet Sabine Thümler. »Die Hemmschwelle, etwas auf die Straße zu werfen, wäre dann noch niedriger und die Stadt noch vermüllter«, entgegnet sie. Thümler verweist auf die Abholung der Weihnachtsbäume ab dem 8. Januar: »Obwohl die Abholtage für jede Straße im Internet nachgelesen werden können, werfen viele Leute ihre Weihnachtsbäume weit vor oder nach dem Abholtag auf die Straße. Eben dann, wenn sie ihn nicht mehr in der Wohnung haben wollen. Und dann vermüllen die Bäume Berlin.«

Die meisten großen Städte hätten sich von der kostenlosen Müllabholung getrennt, so Thümler. »Frankfurt macht das noch. Aber da ist ein klarer Ordnungsdienst dahinter. Man darf zum Beispiel nicht am Vorabend der Abholung den Sperrmüll auf die Straße stellen.« Für sie stelle sich zudem die Frage, ob die kostenlose Müllabholung sozial gerecht wäre. »Davon würden ja auch Leute profitieren, die sich Gebühren leisten können, und sozial Schwache müssten das über Steuern mitbezahlen.«

Holger Höfer kann das nicht überzeugen. Wer sozial schwach sei, zahle nur Verbrauchssteuern, entgegnet er. Wenn er den Anblick der alten Matratze unter dem Fenster nicht mehr ertragen könne, werde er sie auf die Straße stellen. Was denn sonst?

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