Seit vier Monaten ohne Lohn

Sicherheitskräfte der Madrider U-Bahn werden nicht bezahlt und dürfen nicht einmal streiken - aber protestieren

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.

»Für viele unserer Kollegen und ihre Familien sind dies die bittersten Weihnachts- und Neujahrstage ihres Lebens«, sagt der Spanier Daniel Galán in einer Videobotschaft, die derzeit über das Internet die Runde macht. Galán ist noch sichtlich gezeichnet von einem 16-tägigen Hungerstreik, den er Ende Dezember aus gesundheitlichen Gründen abgebrochen hat. Mit der Aktion machte der 42-jährige Vater von vier Kindern auf die verzweifelte Lage aufmerksam, in der er und seine über 500 Kollegen bei der Madrider U-Bahn stecken. Denn seit vier Monaten arbeiten sie ohne Lohn. Und die Lage wird immer brenzliger.

»Besonders schlimm ist für unsere Familien, dass die Konten rote Zahlen aufweisen«, beschreibt Galan die akuten Nöte. Ängste vor einem »desahucio« machen sich breit - vor einer durch Banken eingeleiteten polizeilichen Zwangsräumung von Wohnungen, deren überschuldete Bewohner die Miete oder Hypothek nicht mehr entrichten können. Viele überleben nur durch Geld- oder Sachspenden von Freunden, Verwandten, solidarischen Menschen und der spanischen Version der »Tafeln« - der Armenspeisung.

Galán ist seit 15 Jahren als Sicherheitskraft bei der Untergrundbahn Metro in Madrid beschäftigt. Er pendelt jeden Tag aus Toledo mit dem Bus über 70 Kilometer in die Hauptstadt und zurück und arbeitet meistens in den Nachtstunden - auch an Wochenenden und Feiertagen. »Wir sind für die Sicherheit der Fahrgäste zuständig und setzen bei der Abwehr von Übergriffen und Fällen von Vandalismus immer wieder unsere Gesundheit aufs Spiel«, erklärt er gegenüber »nd«. »Wir halten als erste unseren Kopf hin und müssen entscheiden, ob wir Polizei oder Sanitäter herbeirufen.«

Seinen Arbeitsvertrag hat Galán nicht mit der Metro, die der konservativen autonomen Regionalregierung unterstellt ist, sondern mit einem Subunternehmen, der Seguridad Integral Canaria (SIC). Seit Jahren werden diese Arbeiten nicht von der Stammbelegschaft, sondern von privaten Subunternehmen ausgeführt. Zur Auswahl des billigsten Anbieters finden regelmäßig Ausschreibungen statt. Die Madrider Metro betreibt derzeit 12 Linien mit 294 Kilometer Länge.

Daniel Galán wurde beim letzten Betreiberwechsel im Jahr 2013 zusammen mit seinen Kollegen von der SIC übernommen. Die Firma ist Teil des großen Mischkonzerns Ralons, der im Sicherheits- und Reinigungsgewerbe weit über den kanarischen Stammsitz hinaus in vielen spanischen Städten vertreten ist. Konzernchef ist der Multimillionär Miguel Ángel Ramírez Alonso, der politisch gut vernetzt ist und als Präsident der Fußball-Erstligisten Unión Deportiva Las Palmas fungiert. Er behauptet, die für Lohnauszahlung vorgesehenen Firmenkonten seien von den Behörden gesperrt worden.

Galán lässt dies nicht gelten. »Wir verrichten unsere Arbeit und fordern unseren Lohn.« Den am 10. November ausgerufenen unbefristeten Streik für die volle Lohnauszahlung ließ die Regionalregierung mit Verweis auf ein partielles Streikverbot für sogenannte öffentliche Mindestdienste aussetzen. Seither gehen die SIC-Beschäftigten wieder ihrer Arbeit nach, schlagen aber neben ihrer Arbeit weiterhin Krach. Während Millionen Spanier ihren Urlaub genießen und Geschenke für die traditionell am 6. Januar stattfindende Bescherung einkaufen, machen sie mit Protestaktionen auf ihre Misere aufmerksam. Am Mittwoch erklärten sie den Eingang eines U-Bahnhofs zur »Mauer der Schande«. Eine Gruppe von Beschäftigten kettete sich symbolisch an und trug Schilder mit der Aufschrift »Moderne Sklaverei des 21. Jahrhunderts - vier Monate Arbeit ohne Lohn«. Für Freitag ist die nächste Protestkundgebung geplant.

Zur Aufmunterung haben die U-Bahn-Beschäftigten in dieser Woche eine eigene Weihnachtsfeier mit ihren Familien ausgerichtet, bei der Geschenke und Süßigkeiten an die Kinder und Lebensmittel an die Eltern verteilt wurden. »Wir werfen die Flinte nicht ins Korn«, macht Galán sich und seinen Kollegen Mut.

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