Air Berlin bremste Gästeboom

Tourismuswerber rechnen mit Stagnation 2017 / 2018 soll es weiter aufwärts gehen

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.

»Wer geglaubt hat, dass die Air-Berlin-Pleite keine Auswirkungen haben wird, hat sich geirrt«, sagt Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne). Unter dem Strich rechnet Burkhard Kieker, Chef der Tourismuswerber von Visit Berlin, für 2017 mit gleichbleibenden Gästezahlen wie 2016. Die Fluglinie Air Berlin habe schon ab Mai geschwächelt. Die Einstellung des Flugbetriebs Ende Oktober vergleicht er mit einem Infarkt.

Wenig Einfluss auf die Besucherzahlen in Berlin habe der Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz vor etwas über einem Jahr gehabt. Lediglich einige asiatische Touristen hätten sich davon vom Berlin-Besuch abhalten lassen.

Immerhin die Übernachtungspreise seien trotz des Einbruchs stabil geblieben. »Berlin gelingt es, höhere Preise durchzusetzen. Das ist ein gutes Zeichen«, freut sich Kieker. Diesen Januar lägen sie sogar drei Prozent höher als vor einem Jahr. Für 2018 rechnet Kieker wieder mit einem Gästeplus. »Mindestens zwei Prozent mehr«, so seine Schätzung.

Doch nicht jeder Hauptstädter hofft unbedingt auf weiter steigende Touristenzahlen. Rund 18 Prozent fühlen sich gestört, ergibt eine von Visit Berlin in Auftrag gegebene Umfrage. Eine übervolle Innenstadt, überfüllte Busse und Bahnen sowie nächtlicher Lärm sind die größten Ärgernisse. »In Innenstadtbezirken wie Friedrichshain-Kreuzberg und Mitte sinkt die Zustimmungsrate zum Tourismus jährlich um ein bis zwei Prozent«, zeigt sich Kieker alarmiert.

Richten soll es das neue Tourismuskonzept des Senats, das bei der anstehenden Senatsklausur am 30. Januar beschlossen werden soll. »Städte wie Amsterdam und Barcelona haben mit Fragen der Akzeptanz des Tourismus bei der eigenen Bevölkerung zu kämpfen«, sagt die Wirtschaftssenatorin. Einen Interessenausgleich zwischen den Bedürfnissen der Anwohner und der Besucher solle hergestellt werden. Pop verweist auf die bereits verdoppelten Mittel zur Reinigung ausgewählter Parks durch die Berliner Stadtreinigung (BSR) oder das neue Toilettenkonzept des Senats, mit zusätzlichen Standorten an Touristenschwerpunkten.

Die Touristenströme sollen stärker auf die Bezirke verteilt werden. »Wir werden es nicht gleich schaffen, Reinickendorf ganz nach vorne zu bringen«, räumt Kieker ein. Doch Berlin habe durch seine dezentrale Struktur gute Voraussetzungen für so ein Unterfangen. Laut Konzept soll jeder der Bezirke einen Tourismusbeauftragten bekommen. »In Kreuzberg oder Mitte geht es dabei sicher um andere Fragen, als mehr um Besucher zu werben«, sagt Pop.

Um die Besucher besser lenken zu können, müsse man erst einmal wissen, wie sie sich in der Stadt bewegen. Eine Umstellung der »Berlin Welcome Card« von einem Papierfahrschein und Rabattheft zu einer elektronische Karte mit entsprechenden Auswertungsmöglichkeiten werde vorbereitet, berichtet Kieker. Datenschutzrechtlich sei das überhaupt kein Problem, versichert er. Mit einer zentralen Buchungsapp für Theaterkarten, Stadtführungen oder Besuche des Fernsehturms möchten die Tourismuswerber noch mehr über die Vorlieben der Besucher erfahren. Mehr Bürgerbeteiligung ist ein weiterer Punkt des neuen Konzepts. Ein Frühwarnsystem für sich anbahnende Fehlentwicklungen könne ein Bürgerbeirat sein, glaubt Pop.

»Mit dem Tourismuskonzept wurde eine gute Arbeit vorgelegt«, sagt Katalin Gennburg, tourismuspolitische Sprecherin der LINKEN im Abgeordnetenhaus. Die Parkreinigung durch die BSR hält sie für einen sinnvollen Beitrag, die Anwohner zu entlasten. Viele Punkte müssten noch viel konkreter angegangen werden, zum Beispiel, dass auch die landeseigenen Museen gute Beschäftigungsbedingungen garantieren, indem sie die Besucherbetreuung nicht mehr an prekäre beschäftigte Selbstständige auslagerten.

»Und eine Bürgerbeteilung nur um der Beteiligung willens kann nicht das Ziel sein«, so Gennburg. Es müssten konkrete Umsetzungsziele vereinbart werden. »Das Konzept ist ein guter Startpunkt für eine konzeptionelle Neubegründung einer neuen Tourismusstrategie«, sagt die Abgeordnete.

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