- Kommentare
- Sieben Tage, sieben Nächte
Voller Angriff
Warum Kegelklubs das Ende droht, Deutschland nicht wie Österreich werden sollte und Deniz Yücel im »Playboy« Frank-Walter Steinmeier den Vortritt lassen musste
Wissen Sie, was Kegelklubs, der vietnamesische Ca-trù-Gesang und chinesische Holzdruckerei gemeinsam haben? Sie sind vom Aussterben bedroht. Was Kegelklubs betrifft, wurde dies in den ersten Tagen des neuen Jahres gemeldet. Nun ist bekannt, dass Keglerinnen und Kegler, wenn sie einmal im Jahr aus den nach Stinkesocken riechenden unterirdischen Gaststuben an die frische Luft Mallorcas oder Norderneys gelassen werden, für andere Menschen unerträglich sind. Dennoch ist es nach dieser Nachricht noch zu früh, um auf ein gutes Jahr zu hoffen. Schließlich kann die deutsche UNESCO-Kommission einschreiten und diese merkwürdige deutsche Gepflogenheit zum immateriellen Weltkulturerbe erklären.
Auch im schlimmen Jahr 2017 war den ersten Tagen noch einiges abzugewinnen - zumindest im Rückblick: Donald Trump war noch nicht offiziell Präsident der USA. Und Deniz Yücel noch in Freiheit. Es war nicht zu erahnen, dass der Kollege und Freund monatelang ohne Anklageschrift in einem türkischen Knast sitzen würde, sogar über den Jahreswechsel hinaus, während der deutsche Vizekanzler sich nach ein paar diplomatischen Unstimmigkeiten wieder zum »persönlichen Freund« des türkischen Außenministers adeln ließ und mit diesem im trauten Heim in Goslar über diese und jene Angelegenheiten plauderte.
Reizvoll daran ist allein, dass dieser Vizekanzler derzeit nur geschäftsführend tätig ist, wie der Rest der Regierung auch - und das in einem Land, das doch sonst so ordentlich ist. Gesucht wird noch immer eine Regierung, was unter Umständen viel besser ist, als eine zu haben. Ich sage nur: Österreich.
Doch sind im jungen Jahr nun auch schon die ersten Guten verstorben, einiges von Menschenhand Errichtete ist eingestürzt. Krieg, Terror, Armut, Ausbeutung, Diskriminierung, Krankheit, Unglück und Tod lauern allerorten. Außerdem Umweltrisiken, Cyberattacken und der Schlendrian. Ja, der Schlendrian, Sie haben richtig gelesen. Denn das weltweite starke Wirtschaftswachstum könne »zu Selbstzufriedenheit und Gleichgültigkeit« führen, meint das Weltwirtschaftsforum, das es ja wissen muss.
Also wenn aus dem Jahr was Gescheites werden soll: Weg mit dem Schlendrian. Oder mit den Worten von Deniz Yücel, der im dpa-Interview um einen Kommentar dazu gebeten wurde, dass der »Playboy« ihn hinter Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf Platz zwei der »Männer des Jahres 2017« wählte: »Ich danke allen, die mich gewählt haben, und gratuliere Herrn Steinmeier zum Sieg. Ansonsten halte ich es mit meinem Lieblingsclub Bayer Leverkusen, wo man in diesen Fällen stets zu sagen pflegt: Wir sehen die Vizemeisterschaft als Herausforderung, um im nächsten Jahr im Kampf um den Titel voll anzugreifen.«
Wir stehen zum Verkauf. Aber nur an unsere Leser*innen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört denen, die sie lesen und schreiben. Sie sichern mit ihrem Beitrag, dass unser Journalismus für alle zugänglich bleibt – ganz ohne Medienkonzern, Milliardär oder Paywall.
Dank Ihrer Unterstützung können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen in den Fokus rücken
→ marginalisierten Stimmen eine Plattform geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und weiterentwickeln
Mit »Freiwillig zahlen« oder einem Genossenschaftsanteil machen Sie den Unterschied. Sie helfen, diese Zeitung am Leben zu halten. Damit nd.bleibt.