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Im Banne der »Trumpokalypse«

Für Israel und Palästinenser ist Jerusalem-Entscheidung »historisch« - in konträrer Weise

  • Oliver Eberhardt, Tel Aviv
  • Lesedauer: 4 Min.

Schon lange nicht mehr waren die Straßen in den palästinensischen Gebieten so menschenleer: Die Geschäfte, Behörden, Schulen blieben geschlossen, Busse und Taxis auf den Parkplätzen stehen. »Sie müssen sich vorstellen, dass wohl jeder hier sehr, sehr große Wut im Bauch hat«, sagt Ahmed Khalili, ein Buchhalter, der an diesem Montag in Ramallah an seinem Auto zu Gange ist, und im Moment der einzige Mensch weit und breit: »Wir drohen von der Trumpokalypse mitgerissen zu werden, und dagegen wehren wir uns.«

Im israelischen Regierungszentrum in West-Jerusalem herrscht indes Feiertagsstimmung: Nachdem er zuvor in Ägypten und Jordanien war, ist US-Vizepräsident Mike Pence nun in Israel eingetroffen, und Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu empfängt seinen Gast mit Überschwang; man kenne sich nun schon so lange: »In dem Moment, in dem ich dich traf, wusste ich, dass du ein echter Freund bist«, so der Premier am Abend beim Staatsempfang. Bestätigt sieht Netanjahu diese Freundschaft, in die er auch Präsident Donald Trump mit einbezieht, durch die Entscheidung, Jerusalem als Israels Hauptstadt anzuerkennen; eine »historische Entscheidung« sei das.

Diese Meinung teilt der palästinensische Regierungschef Rami Hamdallah: »Historische Entscheidungen müssen nicht zwingend positiv sein«, sagt er. Gemeinsam mit Netanjahu sei das Weiße Haus gerade drauf und dran, die »Zwei-Staaten-Lösung für immer als Option vom Tisch zu wischen«. Jahrzehntelang sei die amerikanische Vermittlerrolle im Nahen Osten »in Stein gemeißelt« gewesen: »Heute müssen wir uns mit unseren Freunden in der arabischen Welt die Frage stellen, ob wir so weiter machen können und sollen. Wir brauchen neue Vermittler.«

Eine Rolle, die sein Chef, Präsident Mahmud Abbas vor allem der Europäischen Union antragen möchte: Schon Stunden nach der Bekanntgabe der Jerusalem-Entscheidung hatte Abbas Pence öffentlichkeitswirksam zur »unerwünschten Person« erklärt; demonstrativ war er zudem zeitgleich mit Pences Besuch nach Brüssel gereist, um dort an einem Treffen der EU-Außenminister teilzunehmen. Dort versicherte man ihm, man halte an der Zweistaatenlösung fest, sagte zusätzliche finanzielle Unterstützung zu. Denn in der Vorwoche hatten die USA auch ihre Zahlungen für das palästinensische Flüchtlingshilfswerk eingestellt; eine Katastrophe vor allem für die Menschen im Gazastreifen, wo man nach wie vor auf Hilfe von außen angewiesen ist.

Doch die »Trumpokalypse«, wie der Mann in Ramallah es nannte, wird auch dadurch nicht aufgehalten: Nie zuvor wurde in den israelischen Siedlungen im Westjordanland so viel und so schnell gebaut; Israels rechtsreligiöse Koalition macht keinen Hehl daraus, dass sie Tatsachen schaffen will, so lange in Washington die Trumps regieren, die EU nicht mehr macht als zu kritisieren.

Pence indes betonte am Montag erneut, dass das Weiße Haus »fest daran glaubt, dass ein Frieden möglich ist«: Der »umfassende Friedensplan«, den Trump kurz nach seinem Amtsantritt angekündigt hatte, sei nun fertig; alles stehe und falle mit den Palästinensern: »Erst wenn die palästinensische Regierung bereit ist, an den Verhandlungstisch zurückzukehren, können wir unseren Plan vorlegen.« Und schon im nächsten Satz betonte er, die US-Botschaft werde schon bis Ende 2019 nach Jerusalem verlegt.

Eine Aussage, die nach Auskunft von US-Diplomaten »wirklichkeitsfern« sei: Der Umzug sei logistisch schwierig; ein Gebäude, dass groß genug sei, um Hunderte Mitarbeiter unterzubringen und die sehr hohen Sicherheitsanforderungen zu erfüllen, gebe es in Jerusalem nicht.

Doch aus Sicht von Pences Mitarbeitern geht es ohnehin vor allem darum, ein Zeichen zu setzen: Man vermeide bewusst eine Aussage dazu, wo man die Grenzen Jerusalems sieht, einer Stadt, die seit 1967 durch Siedlungsbau und eine Vielzahl von Eingemeindungen von Israel künstlich vergrößert wurde.

Dabei ist die Haltung des Weißen Hauses auch in Israel umstritten. Während Pence vor der Knesset sprach, verließen die arabischen Abgeordneten demonstrativ den Saal; eine ganze Reihe von Abgeordneten der Arbeitspartei und der linksliberalen Partei Meretz war gar nicht erst gekommen.

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