Maler der »verlorenen Generation«

Gerhart Hein und seine Breslauer Lehrer in der Salongalerie »Die Möwe«

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 4 Min.

1929 nahm Otto Mueller, einstiger Vertreter des »Brücke«-Expressionismus, begeistert von einer Porträtzeichnung, den 19-jährigen Breslauer Gerhart Hein in seine Malklasse der Akademie für Kunst und Kunstgewerbe in Breslau auf. Dieser besuchte dann aber auch die Klassen von Alexander Kanoldt, einem der wichtigsten Protagonisten der Neuen Sachlichkeit, Oskar Moll, einem Schüler Henri Matisses, Johannes Molzahn, der an der Gründung des Bauhauses in Weimar beteiligt war und sich in den zwanziger Jahren der abstrakten Malerei annäherte, Carlo Mense, Maler des rheinischen Expressionismus und der Neuen Sachlichkeit, sowie Oskar Schlemmer, der erst 1929 vom Bauhaus Dessau nach Breslau gekommen war.

Hein lernte also die ganze Palette der zeitgenössischen Kunst kennen. 1932 wurde die Akademie geschlossen; Hein gehörte zu den wenigen, die noch ein Jahr im Meisteratelier von Johannes Molzahn arbeiteten. Dann lebte und malte er mit seiner Frau, die Studentin in der Zeichenklasse von Paul Holz gewesen war, im schlesischen Riesengebirge und war im Baugewerbe tätig. Zu den Werken, die dann im Breslauer Museum als »entartet« beschlagnahmt wurden, gehörte auch ein Stillleben von ihm. Von der »Reichskulturkammer« wurde ihm verboten, seinen Beruf als freischaffender Maler weiterhin auszuüben. Im Krieg musste er an vorderster Front um das nackte Überleben kämpfen.

Nach 1947 war es ihm unmöglich, den Lebensunterhalt für seine fünfköpfige Familie als freischaffender Maler zu bestreiten. Er hat in Nürnberg in allen möglichen Berufen gearbeitet: als Wachmann, als Zeichner und Grafiker, als Polier auf Großbaustellen - und nebenbei hat er gemalt. Doch bekannt geworden ist er nicht. Seine Arbeiten vor dem Krieg waren zerstört worden oder verloren gegangen. Später ging dann die Sorge um seine schwer erkrankte Frau vor, sodass er auf einen dritten Anlauf im Malen verzichten musste. 1996, zwei Jahre vor seinem Tode, sagte er resigniert: »Ich habe keine Kraft mehr. Ich bin fertig.« Ausstellungen hatte Hein zu Lebzeiten so gut wie keine. Er, der Maler einer vergessenen, einer »verschollenen Generation«, blieb ein weitgehend Unbekannter in der Kunstszene.

Mit Unterstützung von Almuth A. Hein, der Tochter des Malers, die dessen Nachlass betreut, hebt jetzt die Salongalerie »Die Möwe« das Werk Heins aus der Vergessenheit und präsentiert es zusammen mit Arbeiten seiner Lehrer der Breslauer Akademie der Berliner Öffentlichkeit. Es muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass schon das Kunstmuseum Bayreuth und das Museum Baden in Solingen Hein 2006 erstmals umfassend vorstellten, aber für Berlin kann man von einer Premiere sprechen.

Es scheint, als hätte Hein nach dem Krieg wieder dort angefangen, wo er 1933 in seiner künstlerischen Entwicklung unterbrochen wurde. Nur eine Arbeit, eben jene markante Porträtzeichnung von 1928/29, ist aus seiner frühen Werkphase erhalten geblieben. Aber an den gezeigten Arbeiten seiner Breslauer Lehrer kann man ablesen, was da an Motiv- und Formneuerungen auf den jungen Hein eingestürmt sein musste, was er zu verarbeiten und zu Eigenem umzuformen hatte. Heins zarte Aquarelle aus den vierziger und fünfziger Jahren sind durch das Vorbild Oskar Molls und der Matisse-Schule angeregt worden. Landschaftliche Eindrücke werden ausschnitthaft in rein formlose licht- und schattenhaltige Farbsubstanzen transponiert.

Doch dann hat Hein den Abstraktionsprozess der Motive bei gleichzeitiger Verdichtung der Fläche durch Farbe und Linienstrukturen weiter vorangetrieben. Er wollte eine Dynamisierung des Bildes erreichen, »die es unmöglich macht, sich in ihm niederzulassen - es soll unseren Lebensrhythmus teilen«, so schrieb er 1962.

In den fünfziger und sechziger Jahren entstehen lichtdurchtränkte, collageartige »Gewebe«, die an Georg Muche und Paul Klee erinnern. Der Farbstrich drückt sichtbare Gesten der Bewegung des Pinsels aus, was an informelle Bilder denken lässt. Ja, ein Bewegungsvorgang wird hier niedergeschrieben: Die Linie gewinnt ihr selbstständiges Leben gegenüber den Gegenständen, die sich aus Liniengespinsten traumhaft-phantastisch wie von selbst ergeben. Kleinstrukturen, scheinbar ohne Plan, träumerisch aneinandergereiht, tauchen aus dem Amorphen auf und wieder unter.

Alles ist richtungslos, voller Einfälle, ein Herauswachsen eines Elementes aus dem anderen, eine unendliche Kette von Assoziationen. Es macht ungeheure Entdeckerlust und Freude, diese Arbeiten zu betrachten. Indem Hein Linien, Bewegungen und Rhythmen im Bild immer wieder verdichtet, entsteht so etwas wie ein Rastersystem, welches die Korpuskularbewegung der Linien in ein vibrierendes, in sich schwingendes Kontinuum umsetzt. Ein durchscheinendes Raumgitter entsteht, das im Raum schwebt und zwischen seinen Linien einen Teil des Raumes einschließt.

»Die Breslauer Kunstakademie: Gerhart Hein und seine Begleiter«, bis zum 14. April in der Salongalerie »Die Möwe«, Auguststr. 50 b, Mitte

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