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»Das Adrenalin habe ich so vermisst«

Der Bahnradsprinter Stefan Bötticher kehrt im Berliner Velodrom fünf Jahre nach seinen größten Erfolgen in die Weltspitze zurück

  • Manfred Hönel
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Berliner Sechstage-Rennen dreht sich seit 119 Jahren. Und auch bei der insgesamt 107. Austragung ist von Verschleiß keine Spur. Freitag, Sonnabend und Sonntag war das Velodrom immer ausverkauft, und die Fans sahen zunächst die Belgier Kenny De Ketele und Moreno de Pauw sowie die Holländern Wim Stroetinga/ Yoeri Havik am schnellsten um die Steilkurven fliegen.

Die Spitzenpositionen dieser beiden Madisonteams kommt keineswegs überraschend. Dagegen zeichnet sich im parallel ausgetragenen Sprintwettbewerb Ungewöhnliches ab. Besonders Stefan Bötticher reißt dieser Tage mit seinen Jagden die Fans von den Sitzen. Dabei hatte es in den vergangenen Jahren lange nicht danach ausgesehen, als könne sich der Thüringer überhaupt jemals wieder auf ein Rennrad schwingen.

2013 hatte Bötticher mit 21 Jahren bei der WM in Minsk die gesamte Weltelite düpiert und fuhr gleich mit zwei Regenbogentrikots als Belohnung für die Weltmeistertitel im Sprint und Teamsprint nach Hause. Ein Jahr später zeigte er beim Weltcup in Cali mit drei Siegen (Sprint, Team und Keirin) noch einmal, welches Potenzial er hat. Danach aber bekam er Knieprobleme. »Damit nicht genug, der Körper reagierte darauf, und ich bekam zu den Knieschmerzen noch Probleme mit meinem Oberschenkelmuskel im linken Bein. Nichts ging mehr. Es gab Zeiten, da dachte ich, du steigst nie mehr auf ein Fahrrad«, verriet der Sprinter gegenüber »nd« und trat dabei auf der Trainingsrolle weiter fest in die Pedale.

In Berlin jagte Bötticher nun beim Rundenrekordfahren mit einer Urgewalt ums Rondell, bis nach der Überquerung des Zielstrichs, die Uhr bei 12,056 Sekunden stehenblieb. Bahnrekord mit einem Tempo von 74,6 Stundenkilometern! Da staunte auch Bötticher selbst: »Es ist herrlich, wieder in Berlin auf dieser wunderbaren Bahn Wettkämpfe zu bestreiten. Vor allem im Sprint, den ich so liebe und den ich über die Jahre wahnsinnig vermisst habe: das Adrenalin und den Nervenkitzel, wenn man vor so einem Publikum solche Leistungen abrufen kann. Das ist einfach nur Wahnsinn. Ich bin super happy, und freue mich so sehr, dass ich die Möglichkeit bekommen habe, hier am Start zu sein.«

Seine Chemnitzer Heimtrainer Ralph Müller und Andreas Hirschligau haben ihn offenbar wieder an die Weltspitze herangeführt. Dabei konnte er nach anderthalb Jahren Pause erst im Sommer wieder mit dem Straßentraining und erst Mitte September in Frankfurt (Oder) mit Einheiten auf der Bahn beginnen. Im Augenblick des Erfolgs wollte er aber auch seinen Dienstherren nicht vergessen. »Vielen Dank an die Bundespolizei, die mir alle Möglichkeiten zur Rehabilitation eingeräumt hat. Ich habe dazu die Zeit genutzt, meine Ausbildung als Polizeimeister zu beenden.«

In Berlin wird Bötticher von Jörg Krünägel betreut, der bei der Bundespolizei für die Radsportler verantwortlich ist. Als DDR-Nationaltrainer brachte er kurz vor der Wende Olympiasieger Jens Fiedler sowie die Weltmeister Bill Huck, Emanuel Raasch und Eyk Pokorny in Goldform.

Angesichts der starken Leistungen mit drei Bahnrekorden würde Bundestrainer Detlef Uibel Sprinter Bötticher gern mit zur WM im nächsten Monat in die Niederlanden nehmen, doch es gibt einen Haken. »Ich würde mich freuen, der BDR hat auch einen Antrag gestellt. Da ich aber bisher noch nicht an Weltcuprennen teilnehmen konnte, fehlen mir die notwendigen Qualifikationspunkte, die zu einem WM-Start berechtigen«, bleibt Bötticher, der am Donnerstag seinen 26. Geburtstag feiern wird, noch skeptisch. Er macht sich keine Sorgen mehr um die Zukunft, lebt im Hier und Jetzt. Und da will er den Berliner Fans erst einmal noch einen vierten Bahnrekord präsentieren.

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