Vom »Städtchen« zur Gartenstadt

Karlshorst streift das Grau der Garnisonsjahre ab - neue, aber teure Wohnviertel entstehen

  • Tomas Morgenstern
  • Lesedauer: 4 Min.

Karlshorst, das stand vor allem für viele Ostberliner einst als Synonym für die Trabrennbahn, die Hochschule für Ökonomie (HFÖ) und die chinesische Botschaft an der heutigen Treskow᠆allee, die zum Tierpark führt, für das fast vergessene Kino »Vorwärts« und das Kapitulationsmuseum. Das einstige sowjetische »Haus der Offiziere« am S-Bahnhof, von dessen Regionalbahnsteig der »Sputnik« über Schönefeld nach Potsdam abfuhr, beherbergt jetzt ein Theater. Jenseits der Hauptstraßen prägen Reihenhäuser und Eigenheime den Stadtteil, Villen und alte Kasernen. Doch das Bild wandelt sich, mit seiner Lage auf dem Weg zwischen Alexanderplatz, Köpenick und dem wald- und seenreichen Stadtrand entwickelt Karlshorst mittlerweile große Anziehungskraft.

Seit 2012 wird der lange vernachlässigte S-Bahnhof stufenweise modernisiert. Die Eisenbahnbrücke, ein gefürchteter Flaschenhals der Treskowallee, wurde erneuert, der Verkehr beruhigt. Ab Februar will sich die Deutsche Bahn der Bahnsteige annehmen. Etwas abseits der Bahntrasse, im Grünen zwischen Rennbahngelände und Wuhlheide, ist in den letzten Jahren das exklusive Wohngebiet »Carlsgarten« mit 95 Eigentumswohnungen in Reihenhäusern entstanden. Die Kasernen der sowjetischen Berlin-Brigade aus den 1960er Jahren wurden abgerissen.

Jenseits der Treskowallee haben sich Einwohner über die »Kaisergärten« beschwert, langgezogene Wohnhäuser an der Wandlitzstraße entlang der Bahn Richtung Innenstadt. Es geht um bis zu 230 Wohnungen und die Frage, ob sie architektonisch zur Villenbebauung des Prinzenviertels passen. In unmittelbarer Nähe wird bis 2021 die »Parkstadt Karlshorst« gebaut. Zwischen Blockdammweg, Hönower Wiesenweg und Trautenauer Straße, wo in der DDR die VEB Holzveredelung und Maschinenbauhandel standen, sollen auf 13 Hektar mehr als 1000 neue Miet- und Eigentumswohnungen entstehen. Nicht wiederzuerkennen ist der einstige Wohnheimcampus der HFÖ an der Treskowallee. Die Howoge hat einige der 1950er-Jahre-Bauten abgerissen und durch Um- und Neubau 400 Wohnungen zu guten Konditionen geschaffen, die Miete soll bei sieben Euro pro Quadratmeter beginnen.

Das anspruchsvollstes Wohnvorhaben im Stadtteil wächst südlich der Treskowallee, im Bereich der früheren Kasernen zwischen der Zwieseler Straße, dem Biesdorfer Sand und den alten Flugzeughallen aus dem Ersten Weltkrieg an der Köpenicker Straße - der »Wohnpark Karlshorst« und die vom Architekten Klaus Theo Brenner konzipierte »Gartenstadt Karlshorst«.

Am vergangenen Donnerstagabend wurde im Deutsch-Russischen Museum Berlin-Karlshorst eine Veranstaltungsserie abgeschlossen, die sich seit März 2017 mit dem »geheimen« sowie »militärischen« Karlshorst befasst hat. Der Vortrag widmete sich der ehemaligen »Pionierschule I der Wehrmacht«, in deren einstigem Offizierskasino seit 1967 das Museum seinen Sitz hat. Es ist ein geschichtsträchtiger Ort, denn im großen Saal dieses Gebäudes wurde am 8. Mai 1945 die bedingungslose Kapitulation aller deutschen Streitkräfte unterzeichnet und damit das Ende der Nazi-Herrschaft besiegelt. Hausherr ist dort die Russische Förderation, sowjetisches Kriegsgerät erinnert im Außenbereich an diesen Sieg.

Das Museum war nicht der erste Nutzer des grauen NS-Kasernenbaus an der Zwieseler Straße 4, nachdem die deutschen Festungspioniere im März 1945 den Schulkomplex geräumt und sich nach Süddeutschland abgesetzt hatten. Die Rote Armee hatte das gesamte verlassene Areal am 23. April besetzt - und bis zum Truppenabzug 1994 wurde an der Zwieseler Straße fortan Russisch gesprochen. Wie übrigens in weiten Teilen von Karlshorst auch, vor allem im abgeriegelten »Städtchen«, wo zunächst die Sowjetische Militäradministration (SMAD) und, bis zum Umzug nach Wünsdorf, das Oberkommando der in Deutschland stationierten Sowjet-Streitkräfte (GSSD) residierten. 1953 zog der Geheimdienst nach Karlshorst und betrieb dort bis zuletzt die nach Moskau zweitgrößte KGB-Zentrale. In der 1936 erbauten Pionierschule richtete sich auch der Militärnachrichtendienst GRU ein.

Das Ensemble der Pionierschule ist eine der wenigen nahezu komplett erhaltenen NS-Militäranlagen und steht unter Denkmalschutz. Nach Jahren des Leerstands erwarb 2007 ein Privatinvestor das Areal. Durch Bestandssanierung und ergänzenden Neubau soll ein großzügiger Wohnpark mit 340 Wohneinheiten entwickelt werden. Nördlich und südlich davon entsteht derzeit auf 40 Hektar eines der größten Wohnungsbauprojekte Berlins - Einfamilien- und Reihenhäuser, Stadtvillen, Townhouses mit 1300 Wohnungen in einer grünen Stadtlandschaft. Die 1917 erbauten Flugzeughallen werden zu Wohnhäusern, nur das Museum und ein alter Luftschutzbunker bleiben original erhalten. Zur Erinnerung und Mahnung angesichts der einzigartigen Geschichte, die an diesem Ort im Kalten Krieg geschrieben wurde.

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