Wenn Orbán zum EU-Fan wird

Österreich und Ungarn für restriktive Migrationspolitik

  • Manfred Maurer, Wien
  • Lesedauer: 3 Min.

Nicht nur mit Brüssel, auch mit Wien hat Viktor Orbán viele Sträuße ausgefochten, vor allem, seit der Regierungschef auf »Ungarn First« macht. Für die Wirtschaft erfand er eine Reihe von Spezialsteuern, die nicht zuletzt die in Ungarn stark vertretenen Österreicher trafen. Ein erzwungenes Umtauschprogramm für Frankenkredite kostete österreichische Banken wie Erste und Raiffeisen viele Millionen. Eine 2014 erlassene Bodenreform zielte vor allem gegen österreichische Bauern, die jenseits der Grenze in großem Stil billige Ackergründe erworben hatten. So richtig am Tiefpunkt angelangt waren die Beziehungen im Spätsommer 2015, als sich der damalige SPÖ-Bundeskanzler Werner Faymann durch den Umgang Orbáns mit der hohen Zahl von Flüchtlingen in seinem Land »an die dunkelste Zeit unseres Kontinents erinnert« fühlte, was einem kaum verhüllten Nazi-Vergleich gleichkam.

Von da an ging es aber nur noch bergauf. Faymann ist längst Geschichte. Und im Kanzleramt am Wiener Ballhausplatz sitzt nun jener junge Mann, der schon vor zweieinhalb Jahren als Außenminister den richtigen Riecher hatte und Kritik an Orbán vermied. Wie Orbán missbraucht auch Kurz die Flüchtlingskrise zu populistischen Zwecken. Und so war es kein Wunder, dass der Ungar am Dienstag in Wien vom Kanzler ausnehmend freundlich und vom FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache anschließend noch einen Tick freundschaftlicher empfangen wurde. Orbáns Fidesz-Partei gehört im Europaparlament zwar wie die ÖVP der EVP-Fraktion an, ideologisch aber ist sie ohne Zweifel viel näher bei der FPÖ.

Im Ruf nach einer restriktiven Migrationspolitik sind sich Kurz und Orbán einig. »Zentrale Aufgabe der EU muss es sein, illegale Migration zu stoppen«, sagt Kurz und befindet das System der Flüchtlingsverteilung in Europa als nicht funktionierend. Das liegt freilich am Widerstand von Staaten wie Ungarn. Während sich Kurz über »ein Umdenken in vielen europäischen Staaten« freut, beklagt sein Gast »mangelndes Engagement bei manchen EU-Binnenstaaten« für den Schutz des Schengen-Raums. »Heute will man die Außengrenzen öffnen und die Innengrenzen schließen«, meint Orbán, der in der »Völkerwanderung heute die größte Bedrohung sieht«. Die EU-Außengrenzen besser schützen ist eine zentrale Forderung beider Regierungschefs.

Die österreichisch-ungarische Freundschaft hat freilich ihre Grenzen. Vorige Woche erst hat die Wiener Bundesregierung angekündigt, gegen die von der EU-Kommission erteilte Genehmigung staatlicher Subventionen für den Ausbau des ungarischen AKW Paks um zwei weitere russische Reaktoren beim EU-Gericht zu klagen.

Das zweite große Streitthema ist die von Kurz geplante Indizierung der Familienbeihilfe für in Österreich arbeitende EU-Ausländer, deren Kinder in der Heimat leben. Das trifft nicht nur Ungarn - aber die besonders. 80 Millionen Euro überweist Österreich im Jahr für rund 39 000 in Ungarn lebende Kinder. Kurz‘ Argument: Die Lebenshaltungskosten sind dort wesentlich niedriger als in Österreich, weshalb die Familienbeihilfe entsprechend angepasst werden soll.

Jetzt, da in Wien die »Demokratie wiederhergestellt« ist, wie Orbán nach dem Start der schwarz-blauen Koalition befunden hatte, schimpft er nicht mehr so aggressiv. Ja, er ist sich sogar einig mit Kurz, dass weder Paks noch die Indizierung des Kindergeldes ein bilaterales Problem, sondern eine »europäische Frage« seien. Die EU-Kommission müsse als Hüterin der Verträge aktiv werden. Orbán setzt in diesen Streitfragen darauf, dass in Brüssel beziehungsweise Luxemburg zu seinen Gunsten entschieden wird.

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