Wie K-Pop auf dem Brett

Hamburger Korea-Fans lieben Janggi

  • René Gralla
  • Lesedauer: 5 Min.

Vielleicht findet sich ja im virtuellen Netz der 90 Knotenpunkte doch die eine und entscheidende Schnittstelle? Nordkoreas Führung wacht bekanntlich streng über ihren Herrschaftsbereich, kontrolliert natürlich auch den Cyberspace. Und doch eröffnet sich gerade im digitalen Paralleluniversum eine versteckte Passage für überraschende bilaterale Kontakte. Das hat mit Janggi zu tun, diesem seit Jahrhunderten auf der gesamten koreanischen Halbinsel gepflegten Freizeitspaß.

Denn ausgerechnet jenes strategische Spiel, in dem die beiden Kontrahenten um 90 Positionen auf dem Brett ringen - mit gewissen Anklängen an Schach -, kann auch online gezockt werden. Und hinter dem Server, der unter dem Label Red Star OS 2.0 firmiert, soll dem Vernehmen nach sogar ein nordkoreanischer Entwickler stecken.

Ein Ausflug per Internet dank Janggi zu den Genossen des Kim Jong Un? Das ist eine Perspektive, die den Hamburger Uwe Frischmuth seit Monaten umtreibt: »Unglaublich, was ein uraltes Spiel sogar im dritten Millennium noch bewegen kann!« Und folgerichtig arbeitet der 59-jährige Sozialpädagoge hoch motiviert daran, das besagte Janggi jetzt auch nach Europa zu importieren.

Zumal Koreas Antwort auf die klassische Königsjagd westlicher Provenienz viel spannender ist als das hierzulande bekannte Gegenstück. Im Szenario des Janggi, das seinerseits verwandt ist mit Chinas Xiangqi (»Elefantenspiel«), kommt neben überlieferten Einheiten (Wagen, Reiter, Elefantenkorps) u. a. auch quasi futuristisches, helikopterähnliches Gerät zum Einsatz.

Die Koreaner waren schon oft ihrer Zeit weit voraus. So auch, als der legendäre Admiral Yi Sun Sin Ende des 16. Jahrhunderts eine vielfach überlegene japanische Invasionsflotte abwehrte. Er brachte dazu Turtle Ships zum Einsatz. Deren Decks waren armiert mit fiesen Eisenspitzen, Drachenköpfe am Bug spuckten tödliches Feuer. Dem scheinen die fliegenden Kanonen in der Miniaturwelt des Janggi entlehnt zu sein.

Bis in die Gegenwart gehören die Koreaner zur Avantgarde, was Technologie im Allgemeinen sowie Gamedesign und Spielkultur im Speziellen angeht. Nicht von ungefähr dominieren Südkoreas E-Sportler die internationale Konkurrenz, und bei Ligakämpfen in StarCraft II oder League of Legends versammeln sich Zehntausende von Zuschauern in Arenen vor gigantischen Screens. Erinnert sei auch an die 2012 produzierten viralen Tanznummern »Gangnam Style«, die inzwischen rund um den Globus eine Millionenfanschar hat.

Der Norddeutsche Uwe Frischmuth liegt demnach voll im Trend, wenn er Koreas populären Denksport Janggi nun auch zwischen Hamburg, Berlin und München etablieren möchte. »Janggi ist K-Pop auf dem Brett«, schwärmt er mit Bezug auf die koreanische Popkultur, die international längst ein Markenbegriff geworden ist. Zusammen mit dem Sinstorfer Schachlehrer Jürgen Woscidlo hat er im Oktober 2017 das erste Turnier in Hamburg organisiert.

Einen Monat später flogen die beiden, komplettiert durch den Neueinsteiger Martin Wolff, nach Seoul zur Janggi-WM, die dort der Fernsehsender Brain TV ausgerichtet hatte. »Das ist der Wahnsinn, bei denen schalten regelmäßig 1,5 Millionen Zuschauer ein«, berichtet der noch Wochen später beeindruckte Frischmuth. »Das macht ein bisschen neidisch, spornt aber auch an.«

Flugtickets und Hotelkosten wurden von den Veranstaltern für alle Mitspieler gesponsert. Das mag zum einen mit der gesamten südkoreanischen olympischen PR-Offensive zu tun haben, zum anderen, mutmaßt Uwe Frischmuth, auch mit der politischen Großwetterlage auf der koreanischen Halbinsel insgesamt. Schließlich ist Janggi jenseits des 38. Breitengrades genauso beliebt - und da möchte man im Land der Olympiastadt Pyeongchang den Schwestern und Brüder im nördlichen Land mit der Hauptstadt Pjöngjang wohl gern eine Nasenlänge voraus sein.

Uwe Frischmuths Vision ist es, mit der internationalen Popularisierung von Janggi - quasi auf dem Schleichpfad über seine 90 Wegkreuze - einen klitzekleinen Beitrag zum Wandel durch Annäherung zu leisten.

Ein anderes Freizeitvergnügen ist Juldarigi - die koreanische Variante des Tauziehens, allerdings unter verschärften Bedingungen. Die Zugwerkzeuge mutieren zu unglaublichen Riesenwürsten, die aus Reisstroh geflochten werden und einen Meter Durchmesser erreichen, bei einer Teillänge von maximal 200 Metern pro Seite. Auf diese Weise zerren zwei Mannschaften, Frauen und Männer, an einem massiven Pflock, der die Monsterriemen verbindet, bis die Partei West oder Ost triumphiert.

Das ist wie eine schöne Parabel auf den ewigen Streit zwischen und um beide Koreas. Und sollte nach dem vielen Polit-Juldarigi zwischen Nord und Süd tatsächlich mal ein dauerhafter, ernster Dialog beginnen, bieten sich für die designierten Unterhändler als vertiefende Vorbereitung im Freien beispielsweise ein paar Extrarunden Biseokchigi an. Bei diesem Traditionswettspiel versuchen die Aktiven, einen Holz- oder Steinblock mit Hilfe eines anderen Teils aus demselben Material umzuhauen.

Das klingt simpel, aber ganz gemeine Auflagen machen den Kandidaten zu schaffen: Bevor die Spieler ihre Attacke starten dürfen, müssen sie einen vorher markierten Punkt auf dem Spielgelände erreichen, und zwar hüpfend und dabei den Schläger zwischen die Beine geklemmt oder auf dem Kopf balancierend.

Ein nervenstärkendes und Demut förderndes koreanisches Spiel ist auch Tuho, das vor allem zum Rahmenprogramm des Neujahrsfestes gehört. Die Teilnehmer werfen Pfeile und versuchen aus einer gewissen Entfernung, die Geschosse in zwei kleineren Öffnungen und einer größeren Öffnung eines bauchigen Gefäßes zu versenken.

Ungeachtet diverser Schikanen geschickte Treffer zu platzieren - Biseokchigi und Tuho könnten als die koreanischen Spiele der Stunde genannt werden. Langfristig, also strategisch gesehen, empfiehlt sich eher Janggi. Und selbst in Hamburg sind Enthusiasten dabei, damit einen Beitrag zur Annäherung sowie zur deutsch-koreanischen Freundschaft zu leisten. Für Oktober 2018 ist dort das zweite Janggi-Turnier geplant.

René Gralla, promovierter Jurist und freiberuflicher Journalist aus Hamburg, prägt als Autor von Beginn an unsere »Spielplatz«-Seite. Er flaniert vielsprachig durch die internationalen Kulturszene, besonders in Südostasien.

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