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Im Reich der Toten

Volker Schlöndorff verfilmte den Kriminalroman »Der namenlose Tag« von Friedrich Ani

  • Katharina Dockhorn
  • Lesedauer: 3 Min.

Volker Schlöndorff kann’s nicht lassen. Seit seinem mit dem bundesdeutschen Filmpreis ausgezeichneten Debüt »Der junge Törless« aus dem Jahre 1966 übersetzt der Regisseur Klassiker der Weltliteratur kongenial in fulminante Leinwandbilder. Unvergessen die Adaption von Bölls »Die verlorene Ehre der Katharina Blum« über den Verfolgungswahn der Boulevardpresse und Berufsverbote. Oder die mit einem Oscar geehrte Verfilmung der als unverfilmbar geltenden »Blechtrommel« von Günter Grass.

Nun versucht sich Volker Schlöndorff erstmals an einem von der Kritik hochgelobten Krimi-Besteller. Der Münchner Autor Friedrich Ani erhielt für »Der namenlose Tag« 2016 den Deutschen Krimipreis. Da die Konfrontation mit dem Grauen und den Abgründen der menschlichen Seele ebenso wie das Mitfiebern bei der Lösung kniffliger Kriminalfälle zu des Deutschen liebsten Fernsehbeschäftigungen zählt, entschied sich Schlöndorff für dieses Medium. Erstmals inszenierte er ausschließlich für den Bildschirm.

Wie in einem klassischen Fernsehfilm folgt er einem Kommissar, dem mittlerweile pensionierten Jakob Franck (Thomas Thieme), der von seinem Job nicht loskommt. Seit Jahren klingelt er an den Haustüren einer Kleinstadt und überbringt feinfühlig die schreckliche Nachricht vom plötzlichen Tod naher Angehöriger. Die Geister der Toten rauben ihm längst den Schlaf. Die Visualisierung des Schattenreichs der Seele im Stil des deutschen Filmimpressionismus und moderner Horrorfilme und deren dramaturgisch stimmiger Einsatz ist eine der stilistischen Komponenten, die Schlöndorffs Arbeit aus dem Bildschirmkrimieinerlei heraushebt.

Franck wird zu Beginn des Films erneut mit dem Tod der 17-jährigen Schülerin Esther Winther (Stephanie Amarell) konfrontiert, den die Polizei vor zwei Jahren als Suizid zu den Akten gelegt hatte. Zu offensichtlich waren die Indizien. Ihr Vater (Devid Striesow) glaubte nie an diese Theorie. Er überredet Franck, erneut zu ermitteln, nachdem sich auch seine Frau (Ursina Lardi) das Leben genommen hat.

Der heimlich in Franck schlummernde Ehrgeiz ist geweckt, zum Ärger seiner einstigen Kollegen will er »einen toten Fall zum Leben zu erwecken«. Er rekonstruiert in Befragungen von Mitschülern und Freunden des Mädchens die letzten Wochen ihres Lebens, die Erzählungen der Zwillingsschwester von Winthers Frau (ebenfalls Ursula Lardi) ermöglichen es ihm, einen Blick auf eine kleinbürgerliche Ehe zu werfen, in der der Patriarch keinen Widerspruch duldete. Obwohl er mit sich selbst haderte und an seinen Zweifeln leidet.

Franck dringt tief in die Abgründe der menschlichen Psyche ein, bald steht er vor einer Familientragödie, die durch die Kleinstadtatmosphäre mit ihren Tuscheleien über vermeintliche Geheimnisse an Dramatik gewann. Zugleich sind Winther und Franck Seelenverwandte, gefangen in ihrer Einsamkeit.

So wird »Der namenlose Tag« zu einem Psychokrimi, der den Konventionen des Genres ohne aufgesetzte Gruseleffekte folgt. Das schafft Volker Schlöndorff dank seiner brillanten Hauptdarsteller, Thomas Thieme und Devid Striesow, die die Gefühlswelt ihrer Figuren für den Zuschauer zu einem offenen Buch werden lassen. Thieme spielt Franck als Melancholiker, als Fels in der Brandung für jene, die ihre Liebsten plötzlich verloren haben und Trost suchen. Was auch seine Kräfte angreift. Striesow gibt Winther als Biedermann, der die Fassade eines erfolgreichen beruflichen und privaten Lebens mit allen Mitteln aufrechterhalten will. Obwohl er vor den Trümmern seines Lebens steht.

ZDF, 20.15 Uhr

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