Bedrängt von Angst bis an den Rand

Eva-Maria Weiss inszenierte in der Werkstatt der Staatsoper Nikolaus Brass’ Kammermusiktheater »Sommertag«

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Werkstatt der Staatsoper neben dem Schillertheater war zwar bloß ein Behelf, aber als Experimentierbühne taugte sie sehr wohl und wusste in vielen Aufführungen zu überzeugen. Das soll sich nun an der wiedereröffneten Lindenoper fortsetzen. Nicht direkt im großen Haus. Die Bühne siedelt nebenan in dem lang gestreckten Gebäudetrakt, wo auch das Intendanzgebäude und der Pierre-Boulez-Saal ihren Ort haben. Das einstige Kulissendepot umfasst nun zwei Spielstätten der modernen Art.

Die jüngste Produktion dort, »Sommertag« von Nikolaus Brass, genannt Kammermusiktheater, schlug wahrlich durch. Der Gehalt des Stückes nach Jon Fosse bedrückt in hohem Maße. Sein zentrales Signum ist die Angst. Sämtliche Mittel stellen darauf ab. Sieben Darstellerinnen und Darsteller, dazu sechs Instrumentalisten agierten in einer Weise, dass es einem heiß und kalt wurde. Binnenspannung von der ersten Note an. Atemberaubend die gesanglichen wie instrumentalen Artikulationsformen und deren eindrückliche Umsetzung (Dirigent: Max Renne).

Eva-Maria Weiss hat das Stück auf die Bühne gebracht. Die Aufführung zeigte, wie einsam die Kreatur ist, wie sehr sie schon resigniert hat in den Unwettern der Jahreszeiten, wie lichtlos die bunten Verhältnisse ringsum erscheinen, wie sehr die Stimmen beben und zittern und sich überschlagen und stille werden und trotzdem schön erscheinen und Enormes aussagen über das, worauf jene Gequälten und sich Quälenden stolz sind, nämlich auf ihre unausrottbaren menschlich-sinnlichen Ursprünge und ihren Lebenswillen.

Nikolaus Brass, geboren 1949, studierter Mediziner und Schüler von Helmut Lachenmann, komponierte wahrlich einen Sommertag, in dem der Herbstwind weht und die Wasser der Fjorde schlagen und die Fröste des Winters schon klirren, wo der Tag zur Nacht wird und Musik auf der Grenze der Stummheit wandelt wie das somnambule Mädchen in eisiger Nacht auf dem Dach, stets in Gefahr, jäh abzustürzen. In solchen Daseinsformen figurieren auf der Bühnenfläche geplagte, sehnsüchtig hoffende, verzweifelte, ewig suchende Individuen. Ihr Treffpunkt ist ein Haus, das nicht das ihre ist, keines, in dem wirklich zu leben und zu lieben sich lohnte. Erwartung und Warten, Weggehen und Rückkehr fallen in eins. Jede der vier Frauen, jeder der drei Männer wartet. Worauf?

Was tut die Kreatur, bedrängt von Angst bis an den Rand? Sie sucht, in in ihr Inneres, ins Unbewusste vorzustoßen und dem Unergründbaren einen Hauch Lebenskraft abzuzwingen. Vergebliche Liebesmüh hier. Alle Anstrengung, dem Heiter-Sinnlichen eine Chance zu geben und der Liebe Rückhalt und Bestand, scheitert. Ist das Stück darum negativ?

Es hat keine eigentliche Handlung, schon gar nicht eine folgerichtige. Die Zuschauer schauen auf eine Halde aus Kisten und Möbeln (Bühnenbild: Lisa Fütterer). Das meiste, was herumliegt, ist verhüllt in Schwarz. Unbewohnbar ist, was das Auge sieht, und bleibt es. Kartons türmen sich, eine alte Stehlampe, ein alter Herd, Tisch, Stühle, Pflanzentopf stehen unsortiert herum. Die »Junge Frau«, so betitelt, liegt anfangs auf dem in schwarze Folie gepackten Bett, wie tot. Die »Frau« erweckt sie. Eine dritte, die »Ältere Frau«, sitzt auf dem Stuhl, schaut durchs Fenster in die Ferne. Licht flackert auf und verebbt. Ihre Sprechstimme erzählt bruchstückhaft über Landschaft und Wetter. Sie spricht aber nicht selbst, die Stimme kommt aus dem Off. Asle, der Mann, tritt auf, als käme er aus der Ferne, und die »Junge Frau« bedient ihn mit Frühstück. Zornig gehen sie auseinander. Er geht weg. Sie wartet auf ihn. Alle warten, umgeben von Schrott, sie warten, gegen alle Näherungsversuche einsam, verlassen.

In Klang gesetzte Irrlichter umflackern die Gesangsparts, einer so schön und grell und sensibel und erschütternd wie der andere. Klare Artikulation will nicht gelingen. Die Stimmen klingen versehrt, angeschlagen, zittrig, nervös und trotzdem in hohem Maße sinnlich.

Hohe Körperlichkeit zeichnet die Musik aus. Das Intermezzo, das Dürftigkeit zelebriert, gibt einer der Frauen Gelegenheit, die Mitte des Raumes vom Unrat freizuräumen. Gelegenheit für den Tänzer, auftauchend wie ein Frogman aus dem Fjord, sich in zärtlichen wie wilden Umarmungen mit der Frau zu üben, worauf sich das Blatt sofort wieder wendet.

In der Akkordeonstimme, tönend von oben auf dem Gestapelten, liegt unerhörte Poesie und Melancholie. Dort oben wartet auch der Mann, der den Synthesizer bedient und zuletzt so irrsinnig laut die Große Trommel wirbelt, als wäre Krieg. Geräusche des angrenzenden Wassers schimmern gleichsam durch Fenster und Tür, gespiegelt in den Vibrationen der Stimmen. Die Ausstöße des Fjords sind Messlatte innerer Vorgänge. Sie bergen Regen, Nebel und Wind. Was für ein Sommertag, an dem Stimmen wie weiße Nachtbäume frieren und erzittern, Stimmen, die, kaum, dass Licht ihnen entgegenschlägt, sich einigeln, um ihren Schmerz zu verbergen.

Die Aufführung gibt einen Abglanz von dem, womit sich große Menschenmassen heute herumschlagen: mit der Einsamkeit, der Resignation und dem ausweglosen Bestreben, überhaupt noch menschlich leben zu können.

Nächste Vorstellungen am 13. und 16.2.

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