Täter oder Opfer?

István Szabó 80

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 3 Min.

Verflucht verzwicktes Schicksal: Da steigert sich ein elitär empfindlicher, ein blitzend dämonischer Schauspieler in eine bewusste Welt-Fremdheit hinein. Mittels der huldvoll eingenommenen Droge des klassischen Verses. Und just die Machthaber, in diesem Falle die Nazis, nutzen diesen stolzen, polemisch deklamatorischen Flucht-Mut - indem sie den Künstler als Beweis ihrer scheinbaren Kulturgröße protegieren. Also: ihn vergewaltigen.

Die Rede ist von Gustaf Gründgens: dem die ganze Welt Bühne war - und dem im rauschenden Spiel die Grenzen zur Realität gefährlich verschwammen. Klaus Mann schrieb über ihn den böse wahrhaftigen Gleichnisroman »Mephisto«. Nannte Gründgens: Höfgen. Ein Schauspieler auf dem Weg in den Theaterolymp - wo die Nazifahnen den Himmel bilden. Ariane Mnouchkine formte später einen europaberühmten Theaterabend daraus, István Szabó einen weltberühmten Film. Eine Erzählung über den weichen Menschen, der hauptsächlich aus jener Furcht, nicht beachtet zu werden, zum auratischen Mittelpunkt wird. Der aus dem Schmerz, kein Ich zu haben, einzig in wechselnden Rollen seinen Balancepunkt findet.

Szabó, 1938 als Sohn eines Arztes in Budapest geboren, ist einer der großen Regisseure des Kinos (»Vater«, »Feuerwehrgasse 25«, »Budapester Legende«, »Taking Sides - Der Fall Furtwängler«). Im nd-Interview vor Jahren sagte er: »Lieber Ängste haben und in Freiheit einsam sein, als in einer Ideologie aufgehen, sei sie noch so sozial.« Der »größte linke Fehler« sei diese »Umsturz-Illusion - man hat angeblich alles von Marx gelesen, aber nie wirklich diesen einen Satz von ihm verinnerlicht: ›Alle Revolutionen haben bisher nur eines bewiesen, nämlich, dass sich vieles ändern lässt, bloß nicht die Menschen.‹« Sollte der proletarische Ruck da wirklich andere Resultate bringen?

Zu den großartigen Leistungen Szabós gehört, Klaus Maria Brandauer als Filmschauspieler gewissermaßen zur Welt gebracht zu haben, in der Rolle des Höfgen. Diesen Königsstolz und diesen Unterwürfigkeitsblick. Er war bei Szabó auch Oberst Redl und Hanussen, und sein Weltruhm gründete auf der Gleichzeitigkeit von verführerischer Scheu und bedrohlicher Vehemenz. Eine Zwie-Lichtgestalt.

Als er achtzehn war, nach der Revolution von 1956, kam Szabó ins Gefängnis; sein Filmstudium konnte er nur unter der üblichen erpresserischen Auflage beginnen, Informationen über Kollegen zu liefern. Er tat’s. Lieferte - und litt. Und wusste fortan, worüber er Filme drehen würde. Gemessen an dem, wie sich der Mensch gewöhnlich in einem restriktiven System - welcher politischer Farbtünche auch immer - verhält, ist »Mephisto« akut geblieben. Die Hauptstraße der Weltgeschichte ist der Weg des geringsten Widerstandes. Auf diesem leicht abschüssigen Weg hat Szabó sein Set aufgebaut. Mit Sinn für kathedralisches Licht, für expressiven Schnitt - und für Blickperspektiven, die den Menschen so kalt sezieren, wie sie ihn als trostbedürftiges Wesen zeichnen.

An diesem Sonnabend wird Szabó 80 Jahre alt.

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