Ein Dorf zieht um

Der Wagenplatz in Karlshorst hat nach langer Suche ein neues Zuhause gefunden

  • Marie Frank
  • Lesedauer: 5 Min.

Nur wenige Hundert Meter von der Rummelsburger Landstraße entfernt, hinter Straßen mit Namen wie »Am Walde« oder »Fuchsbau«, erwartet einen mitten in Berlin eine kleine grüne Oase. Wo zuvor noch eintönige Plattenbauten und gleichförmige Eigentumswohnungen die Straßen säumten, stehen nun kleine idyllische Häuschen mit putzigen Fensterläden in vielen bunten Farben. Fast wähnt man sich in einem Dorf weit draußen auf dem Lande, tatsächlich ist man aber im Lichtenberger Ortsteil Karlshorst.

Inmitten der Wohnhäuser befindet sich auf einem etwa 5800 Quadratmeter großen Gelände ein Wagenplatz. Vor einer Woche ist der Verein KosmoLaut e.V. hierher gezogen, um einen generationen- und kulturübergreifenden Wohn- und Veranstaltungsort zu schaffen. Mehr als 20 Wagen in allen erdenklichen Formen und Farben wurden seitdem hierher geschafft, sogar ein kleines, selbst gezimmertes Holzhäuschen ist dabei. Noch ist alles ein wenig provisorisch, die Küche und der Duschwagen sind noch nicht fertig. Immerhin stehen die beiden Komposttoiletten schon. Auch ein kleiner Massagewagen ist schon eingerichtet.

Einer der Wagen gehört Elise. Zusammen mit ihren Nachbarinnen Fine und Line wärmt sie sich an einem kleinen Ofen, es gibt Kaffee und Süßes. Nicht immer ist es so komfortabel wie in diesem Moment. »Man muss immer wieder erklären, warum man den Wunsch nach diesem alternativen Zusammenleben hat, warum man es sich so schwer macht«, erzählt die gelernte Erziehungswissenschaftlerin lachend. Wie die meisten hier hat auch sie vorher in einer WG gewohnt. »Im Gegensatz zu funktionalem Zusammenleben ist das Miteinander hier total warm und bereichernd.« Am meisten schätze sie jedoch das Draußen sein, das mit dem Leben auf einem Wagenplatz einhergeht.

Dass man sich hier gerne draußen aufhält, ist nicht schwer zu glauben. Für Berliner Verhältnisse ist es sehr ruhig, ganz in der Nähe befindet sich ein kleines Wäldchen, die Wuhlheide ist direkt um die Ecke. »Man kann hier sogar in der Spree baden, wenn man sich nicht ekelt«, meint die 21-jährige Fine, das Küken des Wagenplatzes. Der alte Platz sei mit seinem Froschteich und einem kleinen Steg zwar noch romantischer gewesen, doch sie stünden ja grade erst am Anfang. Geplant ist unter anderem ein Kiezgartenprojekt. Dafür sollen am Eingang des Geländes Hochbeete angelegt werden, um sich, soweit es geht, selbst versorgen zu können.

Bis hierher war es jedoch ein langer Weg erzählt Elise. Fine und Line nicken zustimmend. Vorher standen sie mit ihren Wagen auf dem Gelände der Gartenschule, nur wenige hundert Meter entfernt. Acht Jahre gab es dort einen Wagenplatz, bis dieser im Zuge des Bebauungsplans der »Parkstadt Karlshorst« das Gelände räumen musste. »Vor anderthalb Jahren bekamen wir plötzlich die Kündigung«, berichtet Elise. Ein halbes Jahr hatten sie Zeit, sich eine neue Bleibe zu suchen. Angesichts der Grundstücksknappheit in Berlin ein nahezu unmögliches Unterfangen. »Die Suche war uferlos«, seufzt Fine. »Richtig schrecklich«, ergänzt Line. Ohne die Hilfe der Bezirksverbände der Grünen, besonders aber der LINKEN wäre es wohl nicht gegangen, ist sie überzeugt.

Nach vielen Rückschlägen haben sie schließlich das Grundstück im Hegemeister Weg gefunden. Obwohl es seit 30 Jahren brach liegt und es keine Bebauungspläne dafür gibt, dauerte es bis zur Unterzeichnung des Mietvertrags noch viele Monate. Bis dahin mussten einige Hürden aus dem Weg geräumt werden. »Es war sehr intransparent. Man wusste nie richtig, woran es hakt, dass der Bezirk uns die Zustimmung gibt«, erinnert sich Fine. Mal fehlte eine Unterschrift, dann ein Gutachten, schließlich noch eine Unbedenklichkeitsprüfung. Für die Wagenplatz-bewohnerInnen eine zermürbende Zeit. »Wir mussten den alten Platz ja räumen, hatten dort auch keinen Strom und kein Wasser mehr, und das mitten im Winter. Dann war nicht klar, ob wir hierher dürfen, das war richtig dramatisch.« Ende Januar konnten die WagenburglerInnen dann endlich einen unbefristeten Mietvertrag für das Gelände unterzeichnen.

Von den etwa 15 BewohnerInnen des alten Wagenplatzes sind an die zehn mit umgezogen. Innerhalb der letzten Tage sind jedoch noch einige dazu gekommen. Viele davon von anderen Wagenplätzen.

»Es ist eine Zeit, in der viele Wagenplätze aufgelöst werden«, erklärt Fine. Daher hofften Viele, bei ihnen unterzukommen. Auch sie selbst hat schon auf einem anderen Platz gewohnt, der geräumt werden musste. Mittlerweile leben hier über 17 Leute, es könnten jedoch noch einige mehr werden. »Wir versuchen, so vielen Menschen wie möglich einen Platz zu geben, müssen aber aufpassen, dass wir hier noch genügend Raum für Gemeinschaftsfläche haben«, ergänzt Line. Schon jetzt hätten sie mehr BewerberInnen als sie aufnehmen können.

Wichtig ist den WagenplatzbewohnerInnen vor die Arbeit im Kiez. »Die Idee ist schon, die Nachbarn einzubinden. Der Kontakt ist sehr gut, die meisten sind ziemlich offen und total neugierig«, freut sich Fine. Dazu haben sie verschiedene Projekte geplant. Einmal pro Woche soll es eine Küche für alle (Küfa) geben. Geplant sind zudem verschiedene Veranstaltungen und Workshops. Von Metallbau bis Massage ist alles dabei. »Wir haben hier sehr unterschiedliche Leute, die verschiedene Sachen gelernt haben, die sie anbieten können«, so Elise. »An Ideen mangelt es nicht. Wir haben eher das Problem, es einzugrenzen.« Erst mal wollen sie jedoch eine anständige Küche bauen.

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