Beschäftigteninteressen hier und dort

VW lässt auch in China Leiharbeiter für sich arbeiten - für deren Rechte fühlt sich hierzulande kaum jemand zuständig

  • Rainer Balcerowiak
  • Lesedauer: 4 Min.

Dem VW-Konzern geht es blendend. Trotz des Dieselabgas-Skandals hat das mit weltweit knapp 600 000 Beschäftigten größte deutsche Unternehmen im vergangenen Jahr 10,5 Millionen Fahrzeuge verkauft, so viel wie nie zuvor in der Konzerngeschichte. Beim Umsatz wurde erstmals die Schwelle von 220 Milliarden Euro übertroffen. Der um Sondereinflüsse, wie zum Beispiel Rückstellungen für mögliche weitere Strafzahlungen, bereinigte Betriebsgewinn kletterte im dritten Quartal 2017 überraschend deutlich um 15 Prozent auf 4,3 Milliarden Euro. Die Prognosen bewegen sich in schwindelerregenden Höhen. Bis 2020 soll der Umsatz um mehr als 25 Prozent steigen, der Vorsteuergewinn um mindestens 30 Prozent. Auch bei den Dividenden für die Aktionäre soll es laut den Prognosen steil nach oben gehen.

Wichtigster Wachstumsfaktor ist dabei der chinesische Markt. Das VW-Joint-Venture mit dem staatlichen Autohersteller FAW setzte 2017 fast 4,2 Millionen Fahrzeuge in China ab und will künftig auch den Export der dort gefertigten Pkw ankurbeln. Fast die Hälfte der in China gefertigten Fahrzeuge kommt aus dem Werk im nordchinesischen Changchun. 2020 soll die Produktion die Drei-Millionen-Grenze erreichen.

Doch was Management und Aktionäre in Feierlaune versetzt, bedeutet für viele Beschäftigte in Changshun schrankenlose Ausbeutung. Denn diese sind oftmals prekär beschäftigt und erhalten teilweise nur 50 Prozent des Lohns der Stammbeschäftigten. Und das, obwohl ihnen sowohl laut chinesischem Arbeitsrecht, als auch laut der von der Konzernleitung und dem Weltbetriebsrat vereinbarten »Charta der Zeitarbeit im Volkswagen-Konzern« die gleiche Bezahlung zusteht.

Seit November 2016 gibt es einen offenen Konflikt zwischen den Leiharbeitern und dem FAW-VW Konzern. Die chinesische Werksleitung und die Behörden in Changchun reagierten auf Proteste mit einer Welle von Repressionen, bis hin zu Festnahmen von Aktivisten. Einer von ihnen, Fu Tianbo sitzt bereits seit Mai 2017 als »Rädelsführer« in Haft. Polizeiliche Schikanen und massive Einschüchterungen sind an der Tagesordnung.

Dennoch führten die Proteste im Dezember 2017 zu einem Teilerfolg. Überraschend wurden 900 Leiharbeiter in die Stammbelegschaft übernommen, als »Gegenleistung« verlangte die Werksleitung allerdings, den Verzicht auf Klagen gegen bisheriges Unrecht beim einbehaltenen Lohn. Zudem wurden jene Leiharbeiter, die nicht in der Produktion, sondern in der Verwaltung arbeiten, nicht übernommen.

Eine Anfrage beim VW-Konzern blieb unbeantwortet. Das deckt sich mit den Erfahrungen von Initiativen, die in Deutschland die Solidarität mit den chinesischen Kollegen organisieren. Der Konzern verweise stets darauf, dass die operative Betriebsleitung und die Personalhoheit beim Joint-Venture FAW-VW allein auf chinesischer Seite liege, so Karsten Weber von der Basisinitiative Forum Arbeitswelten auf nd-Nachfrage.

Doch auch die IG Metall und allen voran der Vorsitzende des Konzern- und Weltbetriebsrats von VW, Bernd Osterloh, verteidigt diese Haltung des Unternehmens. In einer Antwort auf einen Brief von chinesischen Aktivisten, in dem diese um Unterstützung baten, beteuerte Osterloh zwar, dass man die Probleme »sehr ernst« nehme. Man könne die erhobenen Vorwürfe aber »leider nicht verifizieren« und sei ohnehin nicht zuständig. Den Autoren des Briefs, darunter der inhaftierte Leiharbeiter Fu Tianbo, empfahl Osterloh, ihre Anliegen »bei den hierfür zuständigen Stellen in China zu artikulieren«.

Seit Monaten bemühen sich verschiedene Initiativen an verschiedenen VW-Standorten Solidarität mit den chinesischen Kollegen zu organisieren. Zumal das Unternehmen auch in Deutschland systematisch auf Outsourcing und Leiharbeit setzt, um die Kosten zu drücken. Ein Schwerpunkt ist dabei das VW-Werk in Emden, wo sich über 60 der rund 1000 Leiharbeiter der VW-Tochter Autovision auch auf juristischem Weg als Stammbeschäftigte einklagen wollen und in der ersten Instanz einen Teilerfolg erzielten.

Auf die Unterstützung der IG Metall können sie dabei nicht bauen. Vielmehr sind es ausgerechnet die Betriebsräte der oft als »Spalter« und »Vertreter der Unternehmerinteressen« geschmähten Christlichen Gewerkschaft Metall (CGM), die ihnen aktiv zur Seite stehen.

Verkehrte Welt? Eigentlich schon, doch leider ist es besonders in der Automobilindustrie längst Normalität, dass die Führung der IG Metall den Schulterschluss mit dem Management sucht und sich weder für die hiesigen Leiharbeiter einsetzt, noch für die Interessen von verfolgten und entrechteten Kollegen in ausländischen Werken.

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