- Berlin
- Genderstudies für Erzieher
Von Regenbogenfamilien und Jungs, die gerne Kleider tragen
Broschüre soll Kita-Erzieher darin unterstützen, Geschlechteridentität und sexuelle Orientierung zu thematisieren
Der Vater lackiert sich die Fingernägel, der Sohn macht es ihm nach. Weil er zwei Schwestern hat, deren Röcke ihm gefallen, will er auch einen haben. In der Kita wird er dafür schief angeguckt, will die bunten Nägel nicht mehr und den Rock auch nicht. Die ältere Schwester ist laut und dominant, fragt aber plötzlich nach Glitzerschuhen und rosafarbenen Kleidern. Die Eltern finden rosa doof und wundern sich, wieso die Tochter jetzt »Mädchenfarben« tragen will. Hat sie das aus der Kita?
Das Jahr 2017 hat in Deutschland viele Neuerungen mit sich gebracht, was Themen wie Geschlechter- und Familienvielfalt betrifft: Gleichgeschlechtliche Paare dürfen heiraten und Kinder adoptieren (Transpaare aber noch nicht). Und das Bundesverfassungsgericht hat den Gesetzgeber aufgefordert, einen dritten Geschlechtseintrag zu schaffen. Zudem gibt es immer mehr »Regenbogenfamilien«. Dennoch gelten traditionelle Familienmodelle - Vater, Mutter, zwei Kinder - noch immer als Norm und werden als solche in Kinderbüchern und im Kita-Alltag weitergetragen.
Eine neue Broschüre soll Erzieherinnen und Erziehern in der Kita nun vermitteln, warum Geschlechter- und Familienvielfalt bereits in der frühkindlichen Erziehung eine Rolle spielen sollten. Herausgegeben haben die 140 Seiten starke Publikation das Sozialpädagogische Fortbildungsinstitut Berlin-Brandenburg und die Bildungsinitiative Queerformat, die von der Senatsverwaltung für Bildung unterstützt wird. Dieser Umstand hat sowohl CDU als auch AfD auf den Plan gerufen: Die AfD diffamierte das Heft als »Sex-Broschüre«, die CDU sah sich gar bemüßigt, einen Antrag ins Abgeordnetenhaus einzubringen, die Verteilung und Verbreitung der Informationsbroschüre zu stoppen.
Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) verteidigte das Heft daraufhin am Donnerstag im Abgeordnetenhaus. »Ich finde es eine sehr, sehr qualifizierte Broschüre«, sagte sie. Erzieher müssten damit umgehen können, wenn beispielsweise ein Kind zwei Mütter habe oder ein Junge Mädchenkleidung tragen wolle. Sie müssten auch Eltern zu diesen Themen beraten können, sagte Scheeres. Dass Nachfrage bestehe, zeige sich auch daran, dass andere Bundesländer bereits nach der Broschüre gefragt hätten. Auch der Paritätische Wohlfahrtsdienst sieht die Heft als so wertvoll an, dass er auf eigene Kosten 1000 Exemplare nachdrucken möchte.
»Murat spielt Prinzessin, Alex hat zwei Mütter und Sophie heißt jetzt Ben«, lautet der Titel. In der Einleitung heißt es, die Frage sei nicht, ob mit Kindern in der Kita über Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung gesprochen werden dürfe. Im Gegenteil ergebe sich »ein rechtlicher, fachlicher und politischer Auftrag« aus dem Berliner Kita-Fördergesetz, dem Berliner Bildungsprogramm und dem Parlamentsbeschluss »Berlin tritt ein für Selbststimmung und Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt«. Laut der Initiative Queerformat greift die Handreichung häufig gestellte Fragen auf, die von Kita-Fachkräften immer wieder geäußert werden.
Das Heft ist in drei Teile aufgeteilt. Zunächst wird in Grundlagentexten erklärt, warum das Thema für Kitas relevant ist. So heißt es zum Beispiel, dass etwa zehn Prozent aller Jugendlichen gleichgeschlechtliche Empfindungen haben. Etwa 16 Prozent gaben in einer Umfrage an, »schon immer« von ihrer Orientierung gewusst zu haben. Zwischen 20 000 und 200 000 Kinder wachsen in Regenbogenfamilien auf.
Im zweiten Teil geben die Autoren Praxishilfen und verweisen auf pädagogische Materialien oder auch Kinderbücher, die Themen wie Transgeschlechtlichkeit behandeln. Die Autoren regen beispielsweise Rollenspiele an, bei denen sich die Kinder die Rollen selbst aussuchen können. Sie geben auch Hilfen, wie Pädagogen auf Diskriminierungen reagieren können.
Die Broschüre ist derzeit vergriffen, jedoch online verfügbar bei www.queerformat.de. Kitas können darüber hinaus einen Medienkoffer zum Thema bestellen.
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