Gegen Verdrängung und Armut

Teil eins der neuen Serie zu Bezirksverbänden der LINKEN: Reinickendorf

  • Tim Zülch
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist Montagabend, halb sieben Uhr, Anfang Januar. Die Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) steht an und muss vorbereitet werden. Acht Mitglieder der Partei DIE LINKE sind gekommen und sitzen um einen großen ovalen Tisch in einem kleinen achteckigen holzgetäfelten Nebenraum des prächtigen BVV-Saals im Rathaus Reinickendorf. Darunter die drei Fraktionsmitglieder Deniz Seyhun, Marion Kheir, und Felix Lederle. Lederle ist 42 Jahre alt, Vater von drei Kindern und Fraktionsvorsitzender der LINKEN in der BVV Reinickendorf. Gerade kommt er von einer Sitzung des Ältestenrat und hat eine lange Liste der Tagesordnungs-Punkte der kommenden BVV-Sitzung mitgebracht. Jeder der Anwesenden bekommt einen Stapel Papier auf den Platz. »Aus Rücksicht auf Werktätige und deren Familien haben wir uns als Limit für die Sitzungen 21 Uhr vorgenommen«, sagt Lederle. Das ist bei der Vielzahl der Punkte durchaus ambitioniert.

Felix Lederle ist Pragmatiker. Er will politische Ziele erreichen. Ein Vorhaben, das mit nur drei Fraktionsmitgliedern in der BVV nicht leicht ist. »Reinickendorf ist eine CDU-Hochburg, und wir sind ein kleiner Bezirksverband. Aber wir halten gut mit«, beschreibt er die Situation. 270 Mitglieder hat der Bezirksverband und ist damit der viertgrößte unter den Westbezirken. Die Mitgliedszahlen sind stark angestiegen: Vor zwei Jahren waren es noch lediglich rund hundert Mitglieder. Stolz ist Lederle außerdem auf eine Frauenquote von 40 Prozent.

LINKE im Aufwind
Auch im Westteil der Hauptstadt sind die Sozialisten inzwischen etabliert. »nd« besucht die Bezirksverbände. dasND.de/westlinke

Mit der Einrichtung Fuxxsbau, dem Bürgerbüro von Katina Schubert, Landesvorsitzende der Partei und Mitglied des Abgeordnetenhauses, hat der Bezirksverband im Märkischen Viertel, wo die LINKE - aber eben auch die AfD - stark ist, gezielt interveniert. Darüber hinaus hat der Reinickendorfer Verband eine gemeinsame Geschäftsstelle mit dem Bezirksverband Pankow in der Fennstraße. Dort findet einmal monatlich ein Politfrühstück mit interessierten Bürgern statt, außerdem gibt es in unregelmäßigen Abständen Buchvorstellungen. Lederle bekommt dadurch viele Anregungen von Bürgern, die er in den politischen Prozess einbringt. Eine davon war die Einrichtung einer Ombudsstelle beim Jobcenter, an die man sich bei Problemen wenden könne, berichtet er.

Ein weiterer Schritt Richtung Bürgerdemokratie sind die öffentlichen Fraktionssitzungen der LINKEN in Reinickendorf. Alle Anwesenden sind - außer bei Personalfragen - abstimmungsberechtigt. Heute Abend sind zwei Mitglieder der Mieterinitiative Trettachzeile anwesend. Dort will ein Investor mehrere Backsteingebäude abreißen, andere sanieren und rund 90 Eigentumswohnungen schaffen. Grundsätzlich sei die LINKE für Nachverdichtung und Wohnungsbau im Bezirk offen, so Lederle, doch es dürfe »keine sozialräumliche Verdrängung geben«. Darum achte der Bezirksverband sehr auf den sozialen Aspekt und mache sich für eine »echte Bürgerbeteiligung im Vorfeld« stark.

Ein wichtiges Projekt der LINKEN in Reinickendorf ist die Einrichtung des ersten Milieuschutzgebietes im Bezirk. »Milieuschutzgebiete sind zwar kein scharfes Schwert gegen Verdrängung, aber sie sind das schärfsten Schwert, das wir auf Bezirksebene zur Verfügung haben«, erklärt Lederle und sieht eine grundsätzliche Offenheit für das Thema in der CDU, die die stärkste Fraktion vor Ort stellt. Weitere konkrete Projekte der Linksfraktion in Reinickendorf sind eine Aufstockung der einzigen Gemeinschaftsschule des Bezirks, der Campus Hannah Höch, bis zum Abitur, die Armutsbekämpfung vor allem im Märkischen Viertel und ein »Bürgerhaushaltsprojekt im Bereich der Fahrradverkehrsinfrastruktur«.

Der Bezirksverband Reinickendorf stehe traditionell für eine politisch konstruktive Haltung, beschreibt Lederle. Das gelte zum einen für den Umgang mit dem Landeverband: »Da haben wir immer eine Sonderstellung gehabt unter den Westbezirken. Wir waren nie kontra Landesverband.« Diese Haltung gelte aber auch im Bezug auf den Umgang mit den anderen Parteien in der BVV, die sich als kritische Kooperation beschreiben lässt. Lederle: »Die CDU ist durchaus fair, darum haben wir beispielsweise Anträgen der CDU zugestimmt, und die CDU hat auch Anträgen der LINKEN zugestimmt.« Eine Verfahrensweise, die explizit nicht für die AfD gilt, die mit acht Bezirksverordneten in der BVV vertreten ist. »Wir stimmen grundsätzlich nicht für Anträge der AfD. Wenn die AfD in einem Antrag sagt, eins plus eins ist zwei, dann sagen zwar wir nicht, das ist falsch, aber wir qualifizieren den Antrag in unserem Sinne weiter und bringen ihn schließlich selbst ein.«

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