Berlin: Mobilitätsgesetz kalt entsorgt

Verkehrssenatorin schafft zentrale Verordnung zur Förderung des Umweltverbunds ab

Viel Platz vor allem für Autos auf der Torstraße in Mitte.
Viel Platz vor allem für Autos auf der Torstraße in Mitte.

Es sind ein paar dürre Zeilen im Berliner Amtsblatt. Die Senatsverkehrsverwaltung hat die Ausführungsvorschriften zu Paragraf 25 des Berliner Mobilitätsgesetzes mit Wirkung zum 5. Dezember aufgehoben. Sie drehen sich um die »Bewältigung von Konfliktlagen bei der Umsetzung von Maßnahmen« und hatten den knackigen Kurztitel »AV Konfliktbewältigung«.

Was zunächst sehr abstrakt klingt, dreht sich um eine zentrale Frage der Mobilitätswende. Die Ausführungsvorschriften regelten klar, wie die Ansprüche der einzelnen Verkehrsträger ermittelt und schließlich abgewogen werden, wenn der Straßenraum nicht reicht. Praktisch keine Straße ist breit genug für alles. Zudem ging es um eine nachvollziehbare Dokumentation, wie auf dieser Basis die Entscheidung getroffen worden ist, wer wie viel Platz bekommt.

Entsprechend gallig fällt die Reaktion des Abgeordneten Kristian Ronneburg (Linke) aus. »Mit der Abschaffung der AV Konfliktbewältigung hat CDU-Verkehrssenatorin Ute Bonde ein zentrales Instrument moderner Verkehrspolitik in Berlin kassiert«, sagt Ronneburg. Die Verordnung sei aus dem Mobilitätsgesetz »dafür gedacht, Konflikte zwischen Auto-, Rad-, Fuß- und ÖPNV-Verkehr fair, transparent und fachlich nachvollziehbar zu lösen — statt nach Bauchgefühl oder politischer Stimmungslage.«

Die sich aus dem Mobilitätsgesetz ergebenden Prioritäten wurden mehrfach in der Verordnung eindeutig ausgeführt. Der »Vorrang des Umweltverbundes vor dem motorisierten Individualverkehr« sei »bei der Straßenraumaufteilung zu berücksichtigen«, heißt es an einer Stelle.

Es wurde auch eine konkrete Anleitung gegeben, wie dieser Vorrang für Radfahrende, zu Fuß Gehende sowie Straßenbahnen und Busse planerisch zu gewährleisten ist. Zunächst müssen demnach Parkstreifen gestrichen werden. Reicht das nicht aus, müssen auch Fahrstreifen wegfallen »und erst anschließend« darf dem Rad-, Fuß- und ÖPNV-Verkehr Platz gestrichen werden.

»Mit dem Wegfall der AV Konfliktbewältigung fällt Berlin weiter zurück in eine Verkehrspolitik ohne klare Kriterien und ohne verlässliche Standards«, kritisiert Kristian Ronneburg. Konflikte durch den begrenzten öffentlichen Raum sollten mit der Verordnung »methodisch und nach klaren Kriterien gelöst werden, um eine nachhaltige, umweltverträgliche Stadtmobilität zu ermöglichen«, sagt der Politiker.

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Lapidar ist auch die Begründung der Senatsverkehrsverwaltung für die Abschaffung der Ausführungsverordnung: »Das ursprüngliche Ziel der Anwendung der AV und Dokumentation von Abwägungsentscheidungen hat bislang keinen Eingang in die Planungspraxis gefunden. Eine dahingehende Vereinfachung der Anwendung wird nicht als zielführend angesehen, da entsprechende Abwägungsprozesse bereits existieren.«

Offensichtlich ist das Ignorieren der Ausführungsverordnung bei den Plänen für den Umbau der Torstraße. Weil es vermutlich die politische Vorgabe gab, vier Autospuren bei der Grunderneuerung zu berücksichtigen, von denen zwei 75 Prozent der Zeit als Parkspuren dienen sollen, soll der Radweg auf der Südseite auf derzeitigen Gehwegflächen angeordnet werden. Dieses Vorgehen steht im Widerspruch zur Ausführungsverordnung.

Für Kristian Ronneburg ist die Abschaffung der Verordnung »ein Rückschritt für Sicherheit, Klimaschutz und eine Stadt, in der Mobilität für alle funktionieren soll«. Verkehrssenatorin Ute Bonde entsorge auf diesem Wege das Mobilitätsgesetz. »Wir werden dieses Instrument nach den Wahlen unverzüglich wieder einführen«, kündigt er an.

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