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  • Volksentscheid über Rundfunkbeitrag

Schweizer Spaltungsbestrebungen

Wenn die eigene Filterblase im Netz wichtiger ist als das Gemeinwesen

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Schweizer stimmen am Sonntag über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems ab. »Ja zur Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren« oder, ganz kurz: »No Billag!«, heißt der Antrag. »Billag« ist die Einrichtung in der Schweiz, die die jährlich pro Haushalt fälligen 451 Franken (rund 390 Euro) einzieht; ab Januar kommenden Jahres soll die Gebühr auf 365 Franken (315 Euro) sinken. Hinter dem Antrag steht eine von libertären und marktradikalen Kräften dominierte Initiative namens »No Billag!«, die von der rechtsnationalen Schweizer Volkspartei (SVP) unterstützt wird.

Hauptargument der Antragsteller ist folgendes: Die Abgabe sei eine Zwangsgebühr, die jeder und jede entrichten müsse, unabhängig davon, ob das Angebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auch genutzt werde oder nicht. Es ist dies die reine neoliberale Ideologie, die alles zum reinen Konsum erklärt und der die Infrastruktur gleich ist; für die Straßenbau, Kindergärten, Schulen, aber eben auch die Bereitstellung von Medienstrukturen quasi kostenlose Güter zu sein haben. Steuern werden deshalb ebenso abgelehnt wie nutzungsunabhängige Gebühren.

Im deutschsprachigen Raum wird die Schweizer Debatte mit Interesse und mit Sorge verfolgt. Schließlich gibt es auch in Österreich und in Deutschland Forderungen nach Abschaffung der Rundfunkgebühr. Der österreichische Journalist und TV-Moderator des Österreichischen Rundfunks (ORF) Armin Wolf zweifelt daran, dass jemand niemals das öffentlich-rechtliche Rundfunkangebot und dessen Infrastruktur nutzt. So hörten viele den Verkehrsfunk auf Ö3, würden den Teletext des ORF nutzen; die Webseite des Senders, orf.at, sei die mit Abstand populärste Medien-Website des Landes, schreibt Wolf auf seinem Blog arminwolf.at. Selbst dann, wenn es Menschen gäbe, die niemals irgendein Angebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nutzen würden, hätte, so Wolf, die Gebühr ihre Berechtigung: »Die allermeisten Österreicher gehen nie in ihrem Leben in die Staatsoper oder ins Burgtheater. Und trotzdem finanzieren sie beides über ihre Steuern mit. Weil wir uns als Gesellschaft irgendwann entschlossen haben, dass Kulturinstitutionen wichtig für uns sind, auch wenn sie sich «am Markt» alleine nicht erhalten können. Deshalb finanzieren wir sie gemeinsam und nicht nur die tatsächlichen Besucher mit ihren Eintrittskarten.«

Auch das Argument, dass Privatsender rein über den Markt finanziert würden, lässt Wolf nicht gelten. Er verweist auf den Sender ServusTV, der dem österreichischen Milliardär Dietrich Mateschitz gehört. Der Sender, der so gut wie keine Nachrichtensendungen hat, mache seine Zuschauer sicherlich »nicht dümmer«. Aber er könne »sich auch nicht annähernd ›am Markt‹ finanzieren, sondern macht ein gigantisches jährliches Defizit, (...) das Dietrich Mateschitz freundlicherweise abdeckt. Der Sender ist eines der Hobbys von Herrn Mateschitz und wenn er dazu keine Lust mehr hat (oder ihm das Programm nicht mehr gefällt), gibt es ServusTV morgen nicht mehr«.

Bei den Befürwortern der »No Billag!«-Gruppierung dürfte dieses Argument auf taube Ohren stoßen. Ideologisch angeführt wird die Initiative von dem 31-jährigen Christian Zulliger, einem Absolventen der Hochschule Sankt Gallen. Der sieht die Rundfunkgebühr als Ausdruck eines »übermächtigen Staates«. Für den Medienwissenschaftler Wolfgang Hagen von der Leuphana-Universität Lüneburg ist es kein Zufall, dass die Initiative von jungen Menschen dominiert wird. Sie passe »zu den Entwicklungen in den neuen digitalen Märkten, wo Spotify, Netflix oder Amazon wie vordem schon Sky und andere Kabelanbieter im Verein mit Facebook und Instagram allein auf die Erstellung individualisierter Profile erpicht sind, um uns dann mit perfekt ausgeklügelten Vorhersage-Algorithmen das zu präsentieren, was uns am besten gefällt - was mir gefällt und meinesgleichen, meinen Freunden, meiner Filterblase, meinem Echoraum, meiner Welt«, so Hagen am Donnerstag auf deutschlandfunkkultur.de. Es sei klar, dass dieser Haltung ein Verfassungsartikel im Wege stehe, »der Fairness einer sachgerechten Darstellung fordert«. Fairness aber könne es nur geben, »wenn man auf Tugenden einer solidarischen Gesellschaft zurückgreift, indem alle ihren Beitrag leisten, entweder durch Steuern oder durch Gebühren«.

Dieses Fairness-Gebot, so Hagen weiter, sei interessanterweise erstmals in den USA eingeführt worden, »in den späten 1930er Jahren, nach den Jahren der Großen Depression, der Hungersnöte und dem Beinahe-Zerfall der ganzen Nation. Während in Europa bereits alles auf die faschistische Katastrophe zusteuerte.« Der Wegfall des Fairness-Gebots erzeuge zwar nicht die Spaltung in einer Gesellschaft, aber er verstärke sie. Insofern sei die Entscheidung am Sonntag wichtig. »Wie immer sie ausgeht, sie wird eine tiefe Spaltung auch in der Schweizer Gesellschaft aufzeigen.« Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Form des SRG (Schweizer Rundfunk- und Fernsehgesellschaft) werde danach »entweder verschwinden oder aber sich in Zukunft verkleinern müssen und zugleich an der Überbrückung dieser gesellschaftlichen Spaltung zu arbeiten haben«.

Was ein Ja zu dem »No Billag!«-Antrag bedeuten wird, erläutert der ARD-Korrespondent in der Schweiz, Dietrich Karl Mäurer, in seinem Beitrag auf deutschlandfunk.de. Sollten die Gebührengelder wegfallen, dann müsste der SRG schließen. Innerhalb kurzer Zeit würden 75 Prozent der Einnahmen des Senders entfallen. Auch die 25 Prozent Werbeeinnahmen würden recht bald sinken, weil mit weniger Programm auch weniger Sendezeit für Werbung verkauft werden könnte. »Das wäre das Ende der SRG«, zitiert Mäurer die Generaldirektorin des Senders, Ladina Heimgartner.

Negative Auswirkungen auf Deutschland fürchtet der Deutsche Journalisten-Verband (DJV). »Wenn diese Initiative durchkommen würde, würde das hier all denjenigen Auftrieb geben, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und den Rundfunkbeitrag infrage stellen«, sagte der DJV-Vorsitzende Frank Überall der Nachrichtenagentur dpa. »Die Diskussionen würden dann noch schwieriger, als sie jetzt schon sind.«

Wolfgang Hagen aber bleibt optimistisch. Die Abstimmung habe bei allen Schwierigkeiten und drohendem Unheil auch ihr Gutes. Falls »No-Billag« abgelehnt werde, »wäre die Schweiz das erste europäische Land, dessen öffentlicher Gebühren-Rundfunk auf einem mehrheitlichen Volkswillen gründet«. Die Chancen, dass es so kommt, stehen gut. Bei einer Wählerbefragung Anfang Februar waren rund 65 Prozent gegen die Gebührenabschaffung.

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