Man sieht nur die im Lichte

Zum 26. Dessauer Kurt-Weill-Fest gibt es eine zwar neu inszenierte, aber langweilige »Dreigroschenoper«

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 4 Min.

Wenn das Kurt-Weill-Fest ansteht, macht Dessau natürlich wie jedes Jahr mit den Namen der Gaststars Reklame: Startrompeter Till Brönner, Jan Josef Liefers und sein Radio Doria, Dagmar Manzel mit Liedern von Abraham über Hollaender bis Weill, bis hin zum Counterpionier Jochen Kowalski oder dem Musicalstar Ute Lemper, die ihren Auftritt natürlich mit der Moritat von Mackie Messer beginnt.

Darüber hinaus wird (noch bis 11. März) einiges aufgeboten, was auch nur entfernt mit Kurt Weill zu tun hat. Und da es wegen seiner jüdischen Herkunft unfreiwilligerweise einen deutschen, französischen und US-amerikanischen Weill gibt, ist da noch immer allerhand zu entdecken. Allein die Biografie des 1900 in Dessau geborenen, 1933 nach Frankreich, 1938 in die USA emigrierten und 1950 in New York gestorbenen Komponisten bringt nun mal die erste Jahrhunderthälfte mit ihren Verwerfungen auf den Punkt.

In diesem Jahr ist der Clou die »Dreigroschenoper«, also das Bühnenstück, mit dem das Duo Bertolt Brecht/Kurt Weill zur Weltbedeutung aufgestiegen ist. Dieses Schlüsselwerk bedarf keinerlei Wiederentdeckungsanstrengung, auch wenn es in Dessau 20 Jahre nicht auf dem Spielplan stand. In diesem Fall hat jeder einzelne Song ein eigenes vitales Nachleben und ist fest im kollektiven Gedächtnis verankert. Das liegt an Brechts genialer Fähigkeit, gesellschaftliche Zusammenhänge auf einen dialektischen Punkt zu bringen. Mit keinem anderen Stück hat Brecht so viele geflügelte Worte losflattern lassen: Man sieht nur die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht. Oder: Wo du hingehst, da will auch ich hingehn. Und alle haben wir schon den Mond über Soho gesehen und auch festgestellt, dass der eine wie der andere Plan nicht gehen will. Und wenn dann Mackies rhetorische Frage »Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?« gestellt wird und alle im Publikum beim Gedanken an die großen Bankenkrisen und den vergleichsweise kleinen Ärger über die Differenz von Soll- und Habenzinsen wissend vor sich kichern, dann kann man nur hoffen, dass das Publikum (wie der Erfinder) um den dialektischen Witz dieses populistischen Bonmots weiß.

Musikalisch ist so etwas natürlich Chefsache, also leitet Generalmusikdirektor Markus L. Frank im Graben die aus der Anhaltischen Philharmonie ausgeklinkte Dreigroschenband. Für die szenische Verpackung ist man (vielleicht auch, weil man nicht wieder die Proteste riskieren wollte, die das Hallenser »Mahagonny«-Gastspiel im letzten Jahr provozierte) auf Nummer sicher gegangen und hat dem Gesamtkunstwerker Ezio Toffolutti Inszenierung, Bühne, Kostüme und Licht übertragen. Der Venezianer hat seine Karriere 1971 an der Ostberliner Volksbühne begonnen und führt seit 1983 auch im Musiktheater Regie.

Für seine Dreigroschenbühne hat er sich gegen die Tiefe des Raums entschieden und einen eher schmalen Bühnenkasten gebaut, der die Einzelteile des Titels des Abends wie eine Collage aneinanderreiht. Dazu kommt ein bunter viktorianischer Kostümlook für die Huren, Bettler und Polizisten und ein Mackie Messer, der an Charlie Chaplin erinnert. Dazu gibt’s dann noch einen Käfig für Mackie und eine Art Brechgardine, die immer mal gemächlich hochfährt. Leider gelingt es der Regie nicht, mit Tempo und einer Verdichtung der Dialoge zwischen den Songs auch eine inhaltliche Tiefe zu schaffen. Die Darsteller singen ordentlich, aber bleiben dabei eher brav, bewegen sich mehr im Nummernrevue- als im Moritatenmodus. Und wenn der Generalmusikdirektor die Songs vom Graben aus ansagt, klingt das mitunter frischer als wenn sie dann zelebriert werden. Matthias Mosebach ist ein geschmeidiger, aber doch eher schmalbrüstiger Mackie. Dirk S. Greis und Christie Ortmann sind ein respektables Ehepaar Peachum. Mirjana Milosavlejevic erinnert mitunter mehr an eine Mary Poppins als an die Gangsterbraut Polly. Was man mit stilisierter Verfremdung für eine Figur erreichen kann, führt Marie Thérèse Albrecht mit ihrer Lucy vor. Sie treibt ihr Spiel in Richtung eines Theaters, wie es Robert Wilson schon aus der Dreigroschenoper gemacht macht hat oder wie man es von Herbert Fritsch gerne sehen würde. Am Ende staunt man, dass selbst eine Dreigroschenoper über weite Strecken schlichtweg langweilig sein kann.

Nächste Vorstellungen: 17.3., 8.4., 13.4., 28.4., 1.6.

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