Zenzi und der Zauberkönig

Le Millipede

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 2 Min.

Wenn eine Musik sich nicht widerstandslos schubladisieren lässt und sich nicht in die heute gängigen Affirmations- und Deppenpopformate fügen will, tut der Musikjournalismus sich traditionell schwer. Und bemüht zum wiederholten Mal jene ausgeleierten Begrifflichkeiten, die er für nonkonforme Klänge reserviert hat, für Klänge also, die ebenso wenig in der Ibiza-Disco zuhause sind wie auf dem Volksfest.

Die »Süddeutsche Zeitung« spricht dann gern von »Klangexpeditionen«. Und die Zeitschrift »Musikexpress« will eine »musikalische Fantasielandschaft« gehört haben. Dort heißt es auch: »Bisweilen verirrt man sich in diesem Werk, sucht nach dem roten Faden.« Ja, der rote Faden. Den hat man gerne hierzulande, genauso wie den rechten Winkel, die Richtschnur und die Leitlinie.

Wir haben es hier allerdings mit dem zweiten Album von Le Millipede zu tun. Soll heißen: Statt eines roten Fadens gibt’s Originalität. Die Musikstücke heißen auch nicht »For You«, »Leave A Light On« oder »Was du Liebe nennst«, sondern »Kafka«, »Tönnchen« oder »Brennelementesteuer« und klingen auch so, d.h. ein wenig nach melancholischem Frühlingssonntag, ein wenig nach Tag der offenen Tür in der Imkerei und ein wenig nach Zenzi und der Zauberkönig im Land ohne Zeit.

Hinter dem Pseudonym Le Millipede (zu deutsch: Tausendfüßler) verbirgt sich der umtriebige Münchner Jazz- und Avantgardemusiker Mathias Götz, der dieses wunderliche Album mit seinen anmutig-stillen Experimentalpop-Miniaturen fast im Alleingang eingespielt hat. Götz, der früher im Jugendjazzorchester und in zahllosen Bigbands spielte, schätzt, so liest man, das Werk von Sergej Prokofjew, die Minimal Music des verschrobenen Musikgenies Moondog und den wild und waghalsig zusammenimprovisierten und grenzüberschreitenden Jazz des Sun Ra Arkestras. Heute spielt er die Posaune bei der musikalisch nicht minder abenteuerlustigen Ambient-Jazzcombo Alien Ensemble und bei der bayrischen Folklore-Blaskapelle G. Rag und die Landlergschwister. Beide Formationen gehören wiederum zum weit verzweigten Musikerinnen- und Musikernetzwerk der Weilheimer Gebrüder Markus und Micha Acher (The Notwist). Man ahnt also: Auf voreilige Zuordnungen zu starren Genres kann hier getrost verzichtet werden. Auch das von Götz gegründete Sextett mit dem sehr schönen Namen Lovebrain & Diskotäschchen hält »Überraschungen aus bayerischer Bierzeltmusik, Kinderliedern, arabischer und osteuropäischer Folklore, Kunstlied, Easy Listening, Jazz, Kirchenmusik und vielen Weltgegenden mehr bereit« (»Musikexpress«).

Man merkt schon: Der Mann orientiert sich bei dem, was er tut, nicht an dem kommerziellen Erfolg, den ihm ein musikalisches Projekt versprechen oder nicht versprechen mag.

Le Millipede: »The Sun Has No Money« (Alien Transistor/Morr Music)

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