Zeit für einen neuen Durchbruch

In traditionellen Frauenberufen sind weibliche Beschäftigte in Betriebsräten unterrepräsentiert

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.

Vor 100 Jahren erkämpften Frauen in Deutschland das Wahlrecht. Die Gewerkschaften machten dieses Jubiläum bei ihren Veranstaltungen zum Internationalen Frauentag 2018 zu einem zentralen Motto. In seinem Aufruf erinnerte der DGB daran, wie der erste politische Durchbruch in Richtung Gleichberechtigung nach aufopferungsvollen Kämpfen der Arbeiterbewegung zustande kam. »Es war der Rat der Volksbeauftragten, der in der Novemberrevolution von 1918 ein Gesetz erließ, mit dem Frauen in Deutschland erstmals das aktive und passive Wahlrecht erhielten.«

Auch anderswo war das Frauenwahlrecht nicht der Weisheit liberaler Politiker, sondern dem handfesten Druck von Arbeiterbewegung und Frauenrechtlerinnen geschuldet. So brachten Revolution und Generalstreik Finnlands Frauen schon 1906 den Zutritt zur Wahlurne. Die Russische Revolution 1917 erzwang nicht nur das Frauenwahlrecht. Die Regierung Lenin setzte mit fortschrittlichen Gesetzen etwa zu Ehescheidung, Namensrecht, Mutterschutz, Recht auf Abtreibung und sozialer Fürsorge Zeichen. Die Kommunistin und alleinerziehende Mutter Alexandra Kollontai war die erste Ministerin der Welt. Anderswo kam das Frauenwahlrecht deutlich später: Großbritannien 1928, Frankreich 1936, Italien 1946, Belgien 1948, Schweiz 1971, Portugal 1974. Europas Schlusslicht war 1984 Liechtenstein.

»Selbst mir war nicht klar, unter welchen persönlichen Entbehrungen das Frauenwahlrecht vor 100 Jahren erkämpft wurde, mit Hungerstreik und Tod«, so Saskia Veit-Prang, kommunale Frauenbeauftragte in der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden nach einer Kinovorstellung des Films »Suffragetten«. »Diese steinigen Wege, die zu etwas führen, was für uns völlig selbstverständlich ist, muss man sich immer mal wieder vor Augen führen.«

Zugleich zeigen die letzten 100 Jahre aber auch, dass das formale Wahlrecht noch längst keine volle Gleichberechtigung und Selbstbestimmung bedeutet. »Männer und Frauen sind gleichberechtigt«, so steht es im Grundgesetz seit 1949. Doch in der BRD vergingen Jahrzehnte, bis diskriminierende Vorschriften verschwanden. So durften Frauen bis in die 1970er Jahre ohne Erlaubnis des Ehemannes nicht arbeiten. Bis heute prägen Lohnunterschiede und Sexismus den Erwerbsalltag. Altersarmut ist weiblich. Auch der Aufstieg einzelner Frauen in hohe Regierungsämter hat dies nicht beseitigt.

Ambivalent ist auch die Zusammensetzung von Betriebsräten, die bis Ende Mai bundesweit neu gewählt werden. Gerade in sogenannten Frauenberufen gibt es demnach eine Repräsentationslücke. Je höher der durchschnittliche Frauenanteil in der Belegschaft ist, desto deutlicher sind Frauen im Betriebsrat unterrepräsentiert, ergab eine Befragung des gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) von 2015. Auf der anderen Seite sind in Branchen mit stark männlich dominierten Belegschaften Frauen sogar »überrepräsentiert«, so das WSI. Sie nehmen hier ein Fünftel aller Betriebsratssitze ein, obwohl sie im Durchschnitt nur 15 Prozent der Beschäftigten stellen. So arbeiten in der Metall- und Elektroindustrie (M+E) nach Angaben der IG Metall rund 20 Prozent Frauen. Von den Betriebsräten sind jedoch 24 Prozent weiblich, in den Jugend- und Auszubildendenvertretungen sogar 30 Prozent.

Für IG-Metall-Vorstandsmitglied Christiane Benner ist dies Ansporn, um weiter für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu kämpfen. Denn arbeitende Frauen sind immer noch überwiegend für Kindererziehung und die Pflege von Angehörigen zuständig. Der neue Tarifvertrag mit einer Option auf befristete »kurze Vollzeit« von 28 Stunden mit Rückkehrrecht in die tarifliche Vollzeit soll die Vereinbarkeit erleichtern.

An die Adresse der Bundesregierung richtete die IG Metall anlässlich des Frauentags den dringenden Appell, das Rückkehrrecht aus Teilzeit für alle Gesetz werden zu lassen. »Das steht nun schon zum zweiten Mal in einem Koalitionsvertrag. Passiert ist bisher nichts, viele Frauen hängen noch immer in der Teilzeitfalle fest«, so Benner. Dadurch verdienen Frauen weniger und haben später eine deutlich geringere Rente.

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