Ständige Mietsteigerungen beachten?

Hartz IV: Streit um die Mietkostenerstattung

  • Lesedauer: 4 Min.

Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 12. Dezember 2018 (Az. B 4 AS 33/16 R) reicht es in der Regel aus, wenn Jobcenter alle zwei Jahre die Daten für eine »angemessene Unterkunft« aktualisieren und ihr »schlüssiges Konzept« über die Bestimmung einer Mietobergrenze fortschreiben.

Nach ständiger BSG-Rechtsprechung müssen Kommunen und Jobcenter ein »schlüssiges Konzept« haben, wann eine Wohnung für einen Hartz-IV-Bezieher als angemessen gilt. Darin muss nicht nur der lokale Wohnungsmarkt berücksichtigt werden, auch die Art der Wohnungen, deren Größe, Brutto- und Nettomieten oder auch die Art und Weise der Datenerhebung (Mietspiegel) müssen offengelegt und beachtet werden.

Doch die BSG-Forderung nach einem »schlüssigen Konzept« der angemessenen Unterkunftskosten für einen Hartz-IV-Bezieher stellt die Jobcenter vor Herausforderungen. Wann genau ist ein Konzept »schlüssig«? Bildet es den Wohnungsmarkt realitätsgerecht ab?

Darum ging es auch im verhandelten Fall einer Hartz-IV-Bezieherin. Die Frau bewohnte alleine eine 77 Quadratmeter große 3-Zimmer-Wohnung in Delmenhorst. Bis Dezember 2011 musste sie monatlich 571 Euro Warmmiete zahlen. Das Jobcenter hielt das für zu hoch. Angemessen seien für eine Person 233,50 Euro zuzüglich Betriebs- und Heizkosten.

Die Behörde berief sich auf ihr »schlüssiges Konzept« vom Dezember 2009, ab wann eine Unterkunft als angemessen gilt und Hartz-IV-Bezieher die angefallenen Kosten erstattet bekommen können. Die klagende Hartz-IV-Bezieherin meinte, dass in ihrem Fall die Wohnungsmarktdaten viel zu alt seien und nicht die Realität wiedergeben. Man müsse Mietpreissprünge mehr berücksichtigen und das Konzept zur Übernahme der angemessenen Unterkunftskosten aktualisieren.

Das BSG verwies das Verfahren an das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen zurück. Seit 1. April 2011 müssten Jobcenter nach dem Gesetz alle zwei Jahre die Daten über die Berechnung der zu übernehmenden angemessenen Unterkunftskosten aktualisieren. Die 2-Jahres-Frist fange ab dem Zeitpunkt der Umsetzung des »schlüssigen Konzepts« an zu laufen. Hier seien die entsprechenden Daten des Jobcenters Delmenhorst aktuell gewesen.

Versäume das Jobcenter die gesetzlich verpflichtende Fortschreibung der Wohnungsmarktdaten in ihrem »schlüssigen Konzept«, seien die Gerichte gefragt. Diese könnten bei einem Fehlen ausreichend aktueller Daten über Mietpreisänderungen den bundesweiten Verbraucherindex zurate ziehen, der auch Rückschlüsse auf Mietpreissteigerungen gibt.

Auch verfassungsrechtlich gebe es keine Einwände, dass Hartz-IV-Bezieher nur Anspruch auf »angemessene« Unterkunftskosten haben. So sei das Regelungssystem zur Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten vom Bundesverfassungsgericht im Oktober 2017 (Az. 1 BvR 617/14) grundsätzlich gebilligt worden. Danach müsse der Gesetzgeber zur Sicherstellung eines menschenwürdigen Existenzminimums »keinen Anspruch auf unbegrenzte Übernahme der Wohnungskosten vorsehen«.

Erstattung nur bei Kenntnis aller Einkünfte

Alle Mitglieder eines Hartz-IV-Haushalts müssen dem Jobcenter Auskunft über ihre Einkünfte geben, wenn sie von der Behörde die vollen Unterkunftskosten beziehen wollen. Verweigert ein erwachsenes Kind die Angaben über eigene Verdienste, bekommen die Eltern nur ihren Anteil an den Unterkunftskosten erstattet.

So urteilte das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel am 14. Februar 2018 (Az. B 14 AS 17/17 R). Im konkreten Fall ging es um ein auf Hartz IV angewiesenes Ehepaar und den 21-jährigen Sohn, mit dem sie gemeinsam in einer Mietwohnung lebten. Als der Sohn ein Gewerbe anmeldete, forderte das Jobcenter zur Prüfung seines Hartz-IV-Anspruchs auf, seine Einkünfte offenzulegen. Das lehnte der Sohn ab. Die Behörde stoppte ihm daraufhin jegliche Leistungen, auch sein Mietanteil wurde nicht gezahlt. Für die Eltern als Mieter führte die Kürzung dazu, dass sie die Gesamtmiete in Höhe von 495 Euro monatlich alleine aufbringen mussten. Das Jobcenter zahlte dem Paar nur seinen Anteil an den Unterkunftskosten.

Die Eltern klagten dagegen. Sie könnten nichts dafür, dass ihr Sohn die Mitwirkung verweigere. Wegen ihres innerfamiliären Streits zogen die Eltern nach fünf Monaten ohne den Sohn in eine andere Wohnung um. Das Jobcenter müsse aber bis dahin die vollen Unterkunftskosten inklusive des Anteils für den Sohn gewähren, so die Eltern, anderenfalls sei ihr Existenzminimum gefährdet, weil sie alleine nicht die volle Miete aufbringen könnten.

Das BSG urteilte jedoch, dass die Eltern keinen Anspruch auf den dem Sohn zustehenden Mietanteil haben. Hartz-IV-Leistungen seien nicht dafür da, die Wohnung für Menschen zu finanzieren, die gar nicht im Leistungsbezug stehen. Die Behörde wisse im vorliegenden Fall gar nicht, ob der Sohn Einkünfte habe und wie hoch diese sind.

Anders verhalte es sich, wenn die anteiligen Unterkunftskosten wegen einer vom Jobcenter verhängten Sanktion verweigert werden. So hatte das Bundessozialgericht am 23. Mai 2013 entschieden, dass die anderen im Haushalt lebenden Familienmitglieder wegen der Sanktion gegen eine Person nicht mithaften müssen. In solch einem Fall müsse das Jobcenter weiterhin die vollen Unterkunftskosten übernehmen. epd/nd

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