Am richtigen Ort

Warum fliegen Politiker der AfD in das seit Jahren umkämpfte Syrien? Sinn und Zweck der Reise war es, die Menschen verächtlich zu machen, die dem Schrecken des Krieges entkommen konnten, meint Gerd Wiegel

  • Gerd Wiegel
  • Lesedauer: 4 Min.

Weit ist es mit der von der AfD beklagten Fremdheit im eigenen Land gekommen. Jetzt müssen Vertreter der Partei schon nach Syrien fahren, um muslimische Frauen ohne Kopftuch zu sehen. Was in Berlin-Neukölln nach Ansicht der AfD nicht mehr möglich ist, das bieten Damaskus und Homs: Frauen in Jeans und Pullover und ein Land, in dem man gut und gerne leben möchte. Man wünscht der AfD an dieser Stelle doch mehr Mut: einfach mal die eigene Parallelgesellschaft verlassen und eintauchen in den Biotop städtischer Mehrheitsgesellschaften. Wer es aus Syrien unbeschadet zurückgeschafft hat, der wird auch einen Ausflug nach Neukölln überstehen. Aber – auch das lehrt der fröhliche AfD-Ausflug ins Bürgerkriegsland –, man sieht zumeist nur das, was man sehen will. Aufbau, Freiheit und fröhliche Menschen dort, Niedergang, Unterdrückung und Angst hier. Nicht jede Reise bildet und bei mancher steht das Ergebnis schon vorher fest.

Ein Blick auf das Gezwitscher der Reisegruppe von ihrer Syrien-Fahrt erweist sie als das, was sie war: eine Propagandareise weniger in Sachen Syrien als vielmehr in Sachen Flüchtlingsabwehr. Denn natürlich diente diese Reise nicht der unvoreingenommenen Erkundung in einem von sieben Jahren Bürgerkrieg gezeichneten Land. Ziel und Zweck war es, diejenigen verächtlich zu machen, die dem Schrecken entkommen sind. Wie sonst ließe sich ein Tweet verstehen, der die »sogenannten Flüchtlinge« beschuldigt, auf Kosten des deutschen Steuerzahlers in Berlin Kaffee zu trinken, während man selber diesen auf eigene Kosten in Homs trinke? Nach nur wenigen Tagen wissen es die gut bezahlten AfD-Politiker besser als jeder Vater aus Syrien, wie sicher es in diesem Land ist. Ob sie ihren Kindern heute empfehlen würden, freiwillige Aufbauhilfe in Syrien, das »jeden Mann zum Wiederaufbau« brauche, zu leisten, ist eine müßige Frage. Moralische Kategorien perlen als Gutmenschengeschwätz am Panzer nationaler Notwendigkeiten ab. »Wir müssen die Grenzen dicht machen und dann die grausamen Bilder aushalten«, so hatte es Parteichef Alexander Gauland schon 2016 gefordert. Und so will es die AfD jetzt umsetzen.

Zur Person
Gerd Wiegel ist Experte für die extreme Rechte und arbeitet als Referent für die Linksfraktion im Bundestag.

Ob allerdings Regierungssprecher und Vertreter der GroKo die richtigen sind, die Verlogenheit der AfD anzuprangern, darf füglich bezweifelt werden. Denn die von der Bundesregierung ganz im Sinne der AfD betriebene Abschottungspolitik ist es, die die von Gauland geforderten »grausamen Bilder« produziert und dann möglichst unsichtbar machen will. Und so richtete sich die moralische Empörung der vergangenen Woche weniger auf die Flüchtlingsfrage als vielmehr auf die von der AfD angeblich betriebene Aufwertung des Assad-Regimes. So macht man es der AfD schon wieder sehr leicht, diese Vorhaltungen als das zu entlarven, was sie sind: wohlfeiles Moralisieren, das sich mit zwei Bildern von Steinmeier und Assad beziehungsweise Merkel und Erdogan problemlos aushebeln lässt. Wer Berichte der Bundesregierung zur Lage in Afghanistan liest, mit der diese Abschiebungen dorthin rechtfertigt, wird ihr wohl kaum den moralischen Zeigefinger gegen die AfD durchgehen lassen.

Interessanter wäre es da schon, nach den inhaltlichen Gründen zu fragen, die die AfD so unbekümmert auf den Propagandaspuren des Assad-Regimes wandeln lässt. Die Begeisterung für autoritäre und auch diktatorische Regierungen war der extremen Rechten schon immer zu Eigen und wird auch von der AfD gepflegt. Ist es bei Putin der gegen »westliche Dekadenz« mit ihren Rechten für gesellschaftliche und sexuelle Minderheiten gewendete Affekt, so mag es bei Assad die prinzipielle Härte einer Einparteiendiktatur sein, die die heimliche Faszination der AfD befördert. Und auch mit einem Großmufti kann man sich problemlos verstehen, solange dieser sich in »seinem« Kulturkreis bewegt, den man als aufgeschlossener Nationalist gerne besucht. Tatsächlich ist der radikale Islam für die moderne Rechte kein absolutes Feindbild. Er ist es nur dann, wenn er die Regeln völkischer Ordnungsvorstellungen durchbricht und zu kultureller Vermischung führt. Ideologisch dagegen teilt man ein ähnliches Weltbild, das auf Homogenität der Eigengruppe und Abgrenzung gegen alles Fremde und jede Veränderung fixiert ist. Politische Liberalität, Emanzipation und Individualismus sind die gemeinsamen Feinde. Insofern war die AfD-Reisegruppe doch am richtigen Ort.

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