Vom Leben auf dem Vulkan

Auf Island bebt täglich die Erde, die Einheimischen nehmen das äußerst gelassen.

  • Heidi Diehl
  • Lesedauer: 8 Min.
Ein touristischer Anziehungspunkt und ein Beweis für die Kraft der Natur: der Skorgafoss-Wasserfall
Ein touristischer Anziehungspunkt und ein Beweis für die Kraft der Natur: der Skorgafoss-Wasserfall

Der Tag könnte schöner nicht sein: Strahlender Sonnenschein verwandelt die tief verschneite Landschaft im Südwesten Islands in ein wie von Diamanten überzogenes glitzerndes Gemälde. Wie auf einer Perlenschnur reihen sich die Vulkane Hekla, Tindfjöll, Katla, Eyjafjallajökull und die von kleineren Vulkanen überzogene Inselkette Vestmannaeyjar am Horizont. Fasziniert starre ich auf diese Bilderbuchlandschaft - bis plötzlich eine Bewegung, ein Knirschen und Rumpeln unter den Füßen zu spüren ist, das immer stärker wird. Panisch laufe ich los: weg, nur weg von hier! Doch wohin? Und dann noch dieses widerlich schmatzende Geräusch in den Ohren. Ehe ich noch darüber nachdenken kann, was das sein könnte, wälzt es sich auch schon glühend rot auf mich zu: Hekla, Tindfjöll, Katla und Eyjafjallajökull husten Magma, riesige Aschewolken machen den Tag schlagartig zur Nacht und nehmen die Luft zum Atmen. In Sekundenschnelle verwandelt sich die friedliche Landschaft in die Hölle auf Erden.

Noch eine halbe Stunde später schlägt mir das Herz bis zum Hals, nur langsam normalisiert sich der Puls. - Dabei war ich doch nur auf dem Erzählpfad im Lava Center von Hvolsvöllur unterwegs, rund 100 Kilometer von Reykjavik entfernt. Die im Juni 2017 eröffnete interaktive Ausstellung ist so gut gemacht, dass sich die Besucher fühlen, als erlebten sie tatsächlich einem Vulkanausbruch. Mehr noch, können sie doch hier im wahrsten Sinne des Wortes begreifen, wie Island aus Feuer und Eis geformt wurde, warum es seit der Besiedelung der Insel vor 1100 Jahren mehr als 250 Vulkanausbrüche gab und warum die Region nicht zur Ruhe kommt. Man muss dafür nur ein Modell der Erde und damit die Zeit zurückdrehen, und schon kann man mit eigenen Augen beobachten, wie sich die Erdkrustenplatten in Millionen von Jahren übereinanderschoben und dadurch immer wieder dafür sorgten, dass sich der glühende Kern im Erdinneren über die Insel ergoss und so das 103 000 Quadratkilometer große Eiland im Atlantik zwischen Europa und Nordamerika formte. Bis heute liegt rund ein Drittel Islands in einer äußerst bewegten Zone mit etwa 30 aktiven Vulkanen.

Das Vulkan Center befindet sich mittendrin. Von der Aussichtsterrasse auf dem Dach hat man tatsächlich den Blick auf Hekla, Tindfjöll, Katla, Vestmannaeyjar und Eyjafjallajökull, der vor acht Jahren als Asche speiender Unausprechlicher zu einer Berühmtheit wurde, weil er in ganz Europa tagelang den Flugverkehr lahmlegte. Er war übrigens letztlich auch Auslöser für die Idee, das Lava Center zu bauen - um Einheimischen und Touristen anschaulich die Grundlangen der vulkanischen und tektonischen Prozesse in Island zu erklären. Das ist den privaten Investoren mit einem »Sümmchen« von umgerechnet 16 Millionen Euro wirklich atemberaubend gut gelungen.

Derzeit scheinen die »Magmaventile« ganz friedlich unter einer dicken Schneedecke zu schlafen. Doch der Schein trügt. Wie Asbjörn Palsson, der im Lava Center das Restaurant führt, erzählt, wurden allein in den 24 Stunden vor unserem Besuch mehr als 1000 Erdbewegungen registriert. »Bei uns ist unter der Erde immer was los«, sagt er. Ob er denn mit dem Wissen, auf einem Pulverfass zu leben, nicht Angst habe, frage ich den 49-Jährigen. Der grinst nur breit und antwortet: »Für uns sind Erdbeben nichts Besonderes. Angst habe ich nicht, aber Respekt.«

Den Katla beispielsweise, der »längst überfällig ist und jeder Isländer damit rechnet, dass er bald mal wieder ausbricht«. Tatsächlich steht der Vulkan, der 1918 zum letzten Mal Feuer und Asche spuckte, unter besonderer Beobachtung. Denn in den vergangenen 1100 Jahren brach er 17 Mal aus, alle 40 bis maximal 80 Jahre. Wenn die Seismologen auch bislang Entwarnung geben, gehört der tägliche morgendliche Blick auf die Frühwarnseite im Internet für die meisten Isländer zum Frühstück wie bei uns der in die Zeitung.

Auch für Drífa Byarnadóttir, die mitten im Lavafeld nah der Katla aufgewachsen ist und noch immer dort lebt. Trotz der abgelegenen und schwer zugänglichen Region mitten im Katla-Geopark war es für die 39-Jährige nie eine Option, von hier wegzugehen. »Bei uns wächst zwar so gut wie nichts«, sagt sie, »dafür gibt es glasklares, eiskaltes Gletscherwasser im Überfluss.« Das brachte die studierte Biologin 2009 auf die Idee, hier eine Fischfarm zu gründen, und so nicht nur ihr Leben, sondern auch das ihrer Eltern zu erleichtern, die die Familie früher mühsam durch die Zucht von Schafen ernährten. Zwei Jahre später kaufte Drífa die ersten 80 000 Eier vom Arctic Char (Seesaibling), einer Fischart, die nur in besonders sauberem Wasser gedeiht, das nicht wärmer als vier Grad Celsius ist. Inzwischen wachsen jährlich rund 200 Tonnen Seesaiblinge in höchster Qualität heran. Sie werden ausschließlich regional vermarktet, sowohl im Einzelhandel als auch in vielen Restaurants und Hotels.

Wir genießen den schmackhaften Fisch mit seinem festen dunkelroten Fleisch geräuchert zum Frühstück in der Jugendherberge in Vik i Mýrdal, dem südlichsten Ort Islands. Drífas Cousine Æsa Cuđrunardottir hat sich damit einen Traum erfüllt. Auch für sie stand immer fest, dass sie ihren Geburtsort nicht verlässt. »Ich bin begeisterte Paragleiterin und liebe jede Art von Outdoorsport, für den die wilde, ursprüngliche Natur im Katla-Geopark ideale Bedingungen bietet«, erzählt sie. »Und so kam mir nach dem Studium die Idee, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: zum einen meine Freiheit in der Natur auszuleben und zum anderen Gleichgesinnten aus aller Welt das hier ebenfalls zu ermöglichen, indem ich ihnen eine erschwingliche Unterkunft anbiete.« Vor 18 Jahren, da war Æsa gerade mal 23, eröffnete sie ihr Hostel »Norður Vík«. Anfangs war es nur im Sommer geöffnet, inzwischen aber ist die Nachfrage so groß, dass man das ganze Jahr hier einchecken kann. Die Gäste kommen aus aller Welt, und längst nicht alle sind adrenalinsüchtige Jugendliche. Denn der 326-Seelen-Ort »am Ende der Welt« bietet eine ganz besondere natürliche Attraktion, die, spätestens seit dort Teile der US-amerikanischen Fantasy-Serie »Game of Thrones« gedreht wurden, Fans aus aller Welt magisch anzieht: einen Strand aus schwarzer Lava. Gerade jetzt im Winter wirken er und die Reynisdrangar, drei im aufgewühlten Meer stehende schwarze Felsnadeln, besonders mystisch. Der Legende nach soll es sich bei den Felsen um versteinerte Trolle handeln.

Weil das »Norður Vík« ideal am Rande des Ortes auf einer Anhöhe abseits aller störender Lichtquellen steht, bevorzugen es in den Wintermonaten auch viele Fotografen, die auf der Suche nach Polarlichtern sind. Luxus können die Gäste zwar nicht erwarten - es gibt zumeist schlichte Mehrbettzimmer und Gemeinschaftsbäder - dafür geht es aber international, locker und familiär zu. Besonderen Wert legt Æsa auf Nachhaltigkeit und bietet deshalb zum Frühstück konsequent regionale Produkte an. Das schmeckt nicht nur, sondern hilft auch den Unternehmen, ihre hochwertigen Lebensmittel zu verkaufen. Und ganz nebenbei bekommen die Gäste so einen kleinen Eindruck von dem, was in Island dank der natürlichen Bedingungen machbar ist. Wie beispielsweise rund ums Jahr Tomaten aus eigener Produktion anzubieten, die in riesigen Gewächshäusern angebaut werden und so aromatisch schmecken, als wären sie unter südlicher Sonne gereift. Wer will, kann sich die Gewächshausanlagen auch selbst mal ansehen und die Früchte dort selbstverständlich kosten. Neben Tomaten reifen zahlreiche andere Gemüsesorten und in einigen Glashäusern sogar Bananen.

Möglich machen das unzählige heiße Quellen, die zur Energiegewinnung und zum Beheizen von Gebäuden genutzt werden. Das erste Gewächshaus des Landes entstand übrigens 1924 in Reykir im Inselnorden. Den Anstoß dafür gab der Bauer Stefan Jónnson, der viele Jahre lang in den USA gelebt hatte und dort von der ersten Warmwasserheizung der Welt erfuhr, die 1892 in Idaho in Betrieb ging. Zurück in Island baute er 1908 die erste Heißwasserleitung von einer heißen Quelle zu seinem Wohnhaus. Heute werden fast alle Häuser durch diese umweltfreundlichen, natürlichen Energiequellen beheizt.

Die Naturkräfte Islands sind für die knapp 347 000 Einheimischen Lebensgrundlage und ziehen inzwischen jährlich fast 2,3 Millionen Touristen magisch an: beeindruckende Geysire, viele natürliche Warmwasserbecken, die zum Baden einladen, gewaltige Wasserfälle, die sich donnernd ins Tal ergießen, imponierende Felsengebirge, Gletscher oder glasklare Quellen.

Übrigens: Solange die Einheimischen gelassen bleiben, müssen auch die Besucher keine Angst vor Vulkanausbrüchen und Erdbeben haben. Denn, so Æsa: »Wir vertrauen den Seismologen blind. Und sollte es doch eine Erdbebenwarnung geben, haben wir immer noch eine Stunde, um uns in Sicherheit zu bringen. Das reicht!«

Infos

Lava Center: www.lavacentre.is

Jugendherberge Norður Vík: https://www.hihostels.com/de/hostels/vik

Katla Geopark: www.katlageopark.com

Allgemeine touristische Infos:
www.visiticeland.com

Anreise: Islandair bietet wöchentlich zahlreiche Nonstopflüge ab verschiedenen deutschen Flughäfen (auch Berlin) nach Reykjavik und weiter zu 22 Destinationen in Kanada und den USA. Ohne Aufpreis können Reisende bis zu sieben Tage Stopover in Island einlegen.
www.icelandair.de

Besonderer Tipp: Vom 26. April bis zum 30. Juni präsentiert das Felleshus in den nordischen Botschaften in Berlin die Ausstellung »Urgewalt Island / 100 Jahre Island«.
www.nordischebotschaften.org

Literatur:
Arthur Björgvin Bollason, »Das Island-Lesebuch – Alles, was Sie über Island wissen müssen«, Mana Verlag Berlin, 27,50 €

Sabine Barth, »Island«, Reise- Taschenbuch, DuMont Reiseverlag Ostfildern, 17,99 €

Die Reise wurde von Icelandair unterstützt.

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