»Spinnerei vom nachhaltigen Leben« ist nicht erwünscht

Ausbau einer alten Fabrikruine in Neustadt/Nordsachsen zu einem Kultur- und Bildungsort wird von der Gemeinde behindert

  • Karin Weitze
  • Lesedauer: 4 Min.

Die »Spinnerei« ist ein Hof in Neustadt/Nordsachsen, gleich nebenan befindet sich der Tagebau Nochten, der das Kohlekraftwerk Boxberg beliefert. Der Name »Spinnerei« rührt von der darauf stehenden Fabrikruine, einer einstigen Holzwollspinnerei, her. Die Bewohner, drei junge Leute und inzwischen zwei Kinder, bauen seit sechs Jahren das einst völlig verwilderte Grundstück als Lebens- und Arbeitsort aus und um.

Sie gründeten 2013 den Verein »Eine Spinnerei vom nachhaltigen Leben e.V. - Naturbildung und Kulturangebote«. Das Jahresprogramm des Vereins umfasst Kurse und Workshops über nachhaltiges Wirtschaften, Handwerkliches, Bioanbau, Kräuterwandern und ein jährliches Kindercamp. Qi Gong, Filmveranstaltungen, Gesprächsrunden und Vorträge gehören dazu. Mit seinem Angebot setzt sich der Verein für mehr Umweltschutz in der Region ein.

Auf der Haben-Seite des Vereins steht das Bündnis »Strukturwandel jetzt - Kein Nochten II«, durch welches seit 2013 der Widerstand von Betroffenen gegen den Tagebauplan der Lausitz Energie Bergbau AG wieder aktiviert wurde.

Das nächste Vorhaben des Vereins ist der Ausbau der über 150 Jahre alten Fabrikruine zu einem Veranstaltungs- und Lernort. »Ziel ist, mit der Instandsetzung einen identitätsstiftenden Kulturort des nachhaltigen Handelns zu entwickeln, der auf die Region ausstrahlt. Dieser Ort soll darüber hinaus allen regionalen Akteuren für ihre Arbeit in den Bereichen Strukturwandel, Demokratie, Umweltschutz und nachhaltiges Leben zur Verfügung stehen«, heißt es im Exposé für dieses Projekt, welches gute Aussichten auf Förderung durch die Europäische Union hat. Der größte und wichtigste Raum in der ersten Etage des Gebäudes bietet Platz für Veranstaltungen und Ausstellungen. Im Erdgeschoss befindliche Werkstätten ermöglichen praktisches Arbeiten im handwerklichen und künstlerischen Bereich. Das Gebäude ist umgeben von Flächen, die bereits jetzt schon für die Bildungs- und Kulturarbeit genutzt werden.

Leider behindert ein baufälliger Anbau am Fabrikgebäude weitere Planungen. Der Verein würde ihn ins Konzept einbinden - so würden künftige Nutzungen effektiver und kostengünstiger gestaltbar, was im beabsichtigten Förderantrag an die EU eine Rolle spielt. Man bemühte sich deshalb seit 2013 um die Übereignung der noch bis Sommer 2017 herrenlosen winzigen Splitterfläche, auf der der Anbau steht. Bis heute erfolglos, weil sich die Gemeinde Spreetal quer stellt und im vergangenen Jahr selbst Eigentümer geworden ist. Die Begründungen der Gemeinde sind wenig überzeugend. Nach einer Zusage anlässlich einer Vor-Ort-Begehung am 26. Juni 2017 kam auf Nachfrage am 11. Juli die schriftliche Information, dass die Gemeinde Eigentümer bleiben werde und sich »auf eine allgemeine Nutzung festlegen« wird.

Heiko Kosel, Mitglied des Sächsischen Landtags (LINKE), ist mit den Vorhaben der »Spinner« vertraut. Er war am 26. Juni dabei und wandte sich am 11. August an die Gemeinde: »Mit Bedauern erreichte mich die Mitteilung, dass die Gemeinde Spreetal sich nun doch das herrenlose Grundstück 142/9, welches der Spinnerei e.V. so dringend für seine Arbeit benötigt, aneignen möchte.«

»Wir sehen gar keine Nutzungskonflikte zwischen der Gemeinde und dem Verein«, sagt Vereinssprecherin Friederike Böttcher. »Wir sind überzeugt, dass beide Seiten voneinander profitieren können und die Interessen der Gemeinde umgesetzt werden können, auch wenn das Grundstück im Spinnerei-Eigentum ist.«

Diese Auseinandersetzung mit der Gemeinde ist nicht die einzige. Vor gut drei Jahren stelle man seitens der Gemeinde fest, dass den »Spinnern« im Jahr 2011 das Grundstück zu Unrecht zuerkannt worden sei, da es mehr als drei Jahre im Außenbereich brach lag. Rechtsstreitigkeiten und ein Gerichtsverfahren brachten dem Verein Erfolg, die notwendigen Baugenehmigungen wurden erteilt. In der Vergangenheit gab es außerdem Briefkastensprengungen, Sachbeschädigungen, aber auch illegale Wassereinleitungen in das angrenzende Flüsschen Struga, die zu Schäden am Grundstück führten.

Es ist offensichtlich, dass all dies mit dem von den »Spinnern« im Jahr 2013 initiierten Bündnis »Strukturwandel jetzt - kein Nochten II«, also dem Widerstand gegen den Tagebau zu tun hat. Das Bündnis hat zwar starke Mitstreiter und Verbündete, aber auch Gegner, so dass man sich von Seiten der Gemeindeverwaltung mit offensiver Unterstützung für das große Vereinsprojekt mehr als zurückhält. Heiko Kosel schrieb an die Gemeinde: »Gestatten Sie mir abschließend (...) den Hinweis, dass in anderen Gemeinden unserer Region der Zuzug junger engagierter Menschen mit allen nur möglichen Mitteln unterstützt (...) wird. Unterschiedliche politische Vorstellungen der Frage der zukünftigen Nutzung der Braunkohle in unserer Region sollten Verwaltungshandeln nicht beeinflussen.«

Inzwischen hat sich der Verein mit seinem Konzept an den Petitionsausschuss des Sächsischen Landtages gewandt. Die Bearbeitung läuft noch. Dazu gibt es eine Unterstützerliste. Unterzeichner sind unter anderen die LINKEN-Bundestagsabgeordnete Caren Lay und Grünen-Chefin Annalena Baerbock.

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