Der Teufel sitzt schon unterm Dach

Am Maxim-Gorki-Theater ist das Projekt «Gorki - Alternative für Deutschland?» von Oliver Frljic zu sehen

  • Volker Trauth
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein «slawischer Haudrauf im Auslandseinsatz» wurde der kroatische Regisseur Oliver Frljić genannt. Tatsächlich haben wenige Theatermacher seiner Generation Fehlentwicklungen und Gefährdungen in unserer aus den Fugen geratenen Welt so konsequent attackiert - so mutig wie brutal, sensibel zuweilen, meist aber mit verstörenden Gewaltexzessen. Die Wiederkehr des reaktionären Alten, die Tragödie der abgewiesenen und diskriminierten Flüchtlinge und das Auftrumpfen faschistischer Bewegungen sind seine Themen.

In seiner Warschauer Inszenierung von Wyspiańskis «Fluch» schreiben Fanatiker eine Dürrekatastrophe der Tatsache zu, dass der Dorfpfarrer mit einer Frau zusammenlebt. In der Münchner Inszenierung von «Balkan macht frei» wird ein Flüchtling einem demütigenden Einbürgerungstest unterzogen, gefoltert und unter eine graue Kapuze gezwängt.

Anfeindungen blieben nicht aus. In Warschau gossen nationalistische Jugendliche eine übel riechende Flüssigkeit in den Zuschauerraum, und in München verließen zahlreiche Zuschauer demonstrativ den Saal.

Seine Inszenierung am Gorki-Theater trägt den Untertitel «Über die repräsentative Schwäche des Theaters und der Demokratie im frühen 21. Jahrhundert». Es gibt keinen «roten Faden», Ereignis- und Bekenntnisblöcke stehen unvermittelt nebeneinander. Zunächst wird das Theater kritisch ins Visier genommen, vorzugsweise in Gestalt des viel gepriesenen Gorki-Theaters. Schauspieler des Ensembles stürzen aus einer engen Tür des Eisernen Vorhangs auf die Bühne und stellen Gewissheiten infrage. Der Anspruch, als Theater «die Diversität in der Stadt widerzuspiegeln», wird bezweifelt. Über 75 Prozent der Ensemblemitglieder seien migrantischer Herkunft, in der Stadt aber wären das nur 27,7 Prozent.

Die einseitige Bevorzugung von Bewerbern mit migrantischer Herkunft führe zu einem Verlust an künstlerisch-handwerklichem Können, der Verzicht auf Stücke der Klassiker zu einer Verengung der Weltsicht von Theaterleuten und Zuschauern. Eine Darstellerin (Nika Mišković) steigert sich in einen Wutanfall, beleidigt Kollegen und Zuschauer und nimmt das alles wieder zurück. Der farbige Schauspieler Falilou Seck erklärt, stolz zu sein, an einem Theater zu arbeiten, in dem auch die «kleinen Leute» und «Ausländer» eine Stimme haben, befürchtet aber, ein sogenannter «Quotenneger» zu sein.

Um das Übergewicht des Monologischen zu brechen, wird ein Spiel erfunden. Zwei Schauspielerinnen sollen um den letzten freien Platz im Ensemble kämpfen. Um den zu erringen, sollen sie ihre Lebensgeschichte erzählen. Ein Applaus-O-Meter soll die Entscheidung fällen. Die eine (Mareike Beykirch) erzählt von ihrer Kindheit in prekären Verhältnissen, die andere (Svenja Liesau) von der Vergewaltigung durch ihren arabischen Freund. Sie führt ihren Sohn als Ergebnis dieses Verbrechens vor.

Hier erweisen sich Authentizität und Glaubwürdigkeit als Stärken dieses Theaters. Im jähen Bruch ruft dieser nun vorgeführte Junge einen Werbespruch für die AfD in den Bühnenhimmel, die weiblichen Darstellerinnen führen einen Werbetanz vor. Die szenischen Ereignisse überschlagen sich. Mit lautem Knall und unter aufsteigendem Nebel fährt ein Modell des Theaters am Festungsgraben nach vorn. Während ein Darsteller die Verantwortung der Theaterkunst preist, bauen andere Darsteller die Bestandteile des Gebäudes ab.

Der Blick fällt anschließend auf kleine Zimmer im Inneren des Gebäudes, in denen gebückte Gestalten von ihrer Angst vor allen möglichen Gefährdungen erzählen. Dann ist das Gebäude zu einem Wirtshaussaal geworden, in dem ein Darsteller (Falilou Seck) eine Wahlkampfrede für die AfD hält, die in der Voraussage gipfelt, die Partei werde eine «Alternative für Europa» werden. Es folgt ein Streit über die Verfassungstreue der AfD und die Auslieferung von Aufnahmeanträgen ans Publikum.

Am Ende sitzen die nun versöhnten Streithähne unter dem ramponierten Dach des Gebäudes und verkünden siegessicher die berühmten Worte von Goebbels, man müsse in das «Waffenarsenal der Demokratie einsteigen», sich derer Mittel bemächtigen und auf solche Weise den Zustand von heute revolutionieren«.

Das Bild von den provozierenden AfD-Mitgliedern im Bundestag drängt sich auf. Der Regisseur Frljić hat sich nicht als »Haudrauf« des Theaters erwiesen, sondern als warnender Prophet. Eine Teufelsaustreibung hat stattgefunden durch die szenische Beschwörung einer Machtübernahme. Das Bild von den siegestrunkenen Teufeln im Gebälk wird bleiben und die nicht zu übersehenden Schwächen der Inszenierung überdecken. Die scheint überladen - so wenn die großen roten Balkenbuchstaben als Kennzeichnungen der »Altparteien« in abendfüllender Ausführlichkeit über die Bühne getragen werden und manche Bekenntnisse nicht enden wollen.

Nächste Vorstellungen: 23. März, 7. April

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