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Archäologen im Wettlauf mit den Baggern

Erstmals wurden in Sachsen die Überreste einer vollständigen bronzezeitlichen Siedlung entdeckt - ausgerechnet auf einem Tagebau-Areal

  • Hendrik Lasch, Trebendorf
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist ein Fund, der Sachsens Archäologen jubeln lässt: Unweit der Ortschaft Trebendorf in der Lausitz haben sie die Überreste einer vollständigen Siedlung aus der Bronzezeit entdeckt. Sie war etwa in der Zeit zwischen 1400 und 1000 v. Chr. bewohnt. Ihre Relikte erlauben einen Einblick in das Alltags- und Wirtschaftsleben der Vorfahren. Im Boden fanden sich Grundrisse von sieben Häusern, darunter das mit 43 Metern Länge und sechs Metern Breite »größte bisher bekannte in Ostsachsen«, frohlockt Wolfgang Ender, Referatsleiter für Nordwestsachsen im Landesamt für Archäologie (LfA). Auf einer Fläche von zwei Hektar wurden auch Getreidespeicher und ein Gräberfeld gefunden. Die Forscher sprechen von einer »sensationellen Entdeckung«.

In das Entzücken mischen sich freilich auch zwiespältige Gefühle. Schließlich wurde die Siedlung nur entdeckt, um demnächst endgültig zu verschwinden. Das Areal wird bald vom Tagebau Nochten in Anspruch genommen. Dort wird Braunkohle gefördert, die zur Erzeugung von Strom verfeuert wird. Den Archäologen wird lediglich Zeit eingeräumt, um ihre Funde zu dokumentieren und einzelne Objekte zu entnehmen; in den Gräbern beispielsweise fanden sich Gefäße aus Keramik, Schmuck und Teile der persönlichen Ausrüstung der Verstorbenen, die Rückschlüsse auf das soziale Leben in der Siedlung zulassen.

Der Tagebaubetreiber betont, man stimme sich mit den Archäologen gut ab, um sich nicht gegenseitig zu behindern. Die Untersuchungen könnten »rechtzeitig vor Anrücken der Vorschnittbagger abgeschlossen« werden, sagt Thomas Penk, der bei der Lausitzer Energie Bergbau AG (Leag) für Rekultivierung und Umsiedlung zuständig ist.

Die Devise »Wie gefunden, so verschwunden« könnten Sachsens Archäologen freilich nicht nur im Fall der mehr als 3000 Jahre alten Siedlung bei Trebendorf zum Motto ihrer Arbeit erheben. Für sie ist der Bergbau Segen und Fluch zugleich. Viele interessante Entdeckungen der letzten Jahre hätten sie nicht gemacht, wenn sie nicht vor dem Anrücken der Kohlebagger ihre Spaten und Pinsel auspacken dürften. Anlässlich einer Ausstellung in Borna, die Funde auf dem Gebiet des Tagebaus Schleenhain zeigte, sprach ein LfA-Mitarbeiter vor zwei Jahren von einer »beispiellosen Chance«. Während die Forscher sonst oft nur punktuell an einer einzelnen Kirche oder Schlössern arbeiten könnten, erlaubt es ihnen der Bergbau, ländliche Geschichte in großer Breite zu untersuchen und auch ganze Dörfer unter die Lupe zu nehmen. Ein Gutteil der dafür notwendigen Finanzen kommt zudem von den Bergbauunternehmen. In der Lausitz hat die Leag dazu 2017 mit dem LfA einen Dreijahresvertrag abgeschlossen. Im Revier bei Leipzig handhabt das der dortige Kohleförderer Mibrag ähnlich.

Allerdings gilt eben auch: Alles, was die Archäologen auf diese Weise ans Tageslicht bringen, lebt danach nur noch in Form von Fotografien, Aufzeichnungen und ein paar Fundstücken im Archiv fort. Die eigentliche Fundstätte verschwindet derweil nicht unter einer Straße, Bahnstrecke oder einem Neubau, sondern in den Schaufeln der Bagger. So erging es auch den Fundamenten eines Turms im chinesischen Stil, den der legendäre Landschaftsgestalter Fürst Pückler-Muskau im Jahr 1843 am Jagdschloss Weißwasser hatte errichten lassen. Sie wurden im Januar 2014 entdeckt und der Öffentlichkeit präsentiert. Es blieb eine kurze Reminiszenz. Wenige Monate später verwüstete der Kohlebergbau im Dienste des Energiehungers die Fläche.

Rund 100 Hektar nimmt der Tagebau jedes Jahr in Anspruch, sagt Leag-Bereichsleiter Penk. Ebenso viel werde in der gleichen Zeit rekultiviert. Dabei sucht man, neuen Wald so anzulegen, wie er vor dem Bergbau wuchs; auch die offenen Landschaften würden möglichst so bepflanzt, wie sie jenseits der Tagebaulöcher in der Muskauer Heide gedeihen. Zudem lege man historische Wege wieder an.

Doch all das ändert nichts daran, dass die Landschaft auf lange Sicht nicht mehr die Gleiche ist. Und auf Schatzfunde unter der Grasnarbe darf dort niemand mehr hoffen.

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