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Hier regiert das organisierte Verbrechen

Martín Fernández über die desaströse politische Lage in Honduras und die Komplizenschaft von USA und Europa

  • Jutta Blume
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Breite Bewegung für Würde und Gerechtigkeit (MADJ), wurde während der Proteste in Honduras gegen den Wahlbetrug besonders hart von Polizei und Militär attackiert. Drei ihrer Mitglieder wurden erschossen. Warum ist gerade Ihre Organisation derart ins Visier geraten?

Seit der Gründung leisten wir eine systematische Arbeit, die sich dagegen richtet, dass Teile von Wirtschaft und Politik aus der öffentlichen Verwaltung ihr privates Geschäft machen. Wir verfolgen, dokumentieren und klagen die widerrechtlichen Vorgänge an. Das macht es wahrscheinlich, dass man uns angreift und verfolgt. Zudem organisieren und schulen wir diejenigen, die historisch unter Unterdrückung zu leiden haben. Heute haben sie Werkzeuge, um einem sehr ungerechten System die Stirn zu bieten.

Martín Fernández
Martín Fernández ist Generalkoordinator der 2008 gegründeten Breiten Bewegung für Würde und Gerechtigkeit (MADJ), die sich gegen Korruption im honduranischen Staatsapparat und für Umweltschutz engagiert. Unlängst war die MADJ auch an den Protesten gegen Wahlbetrug beteiligt. Fernández ist immer wieder Todesdrohungen und Diffamierungskampagnen ausgesetzt.

Ermittelt die Staatsanwaltschaft in den Mordfällen an den Mitgliedern des MADJ?

Die traurige Wahrheit ist: nein. Honduras steht seit Langem seinen Bürger*innen gegenüber in der Schuld. Selbst staatliche Stellen sagen, dass über 90 Prozent der Straftaten absolut straflos bleiben, weil es keine Ermittlungen gibt. Aber mehr als das: Es gibt auch gar kein Interesse daran.

Das Hochkommissariat für Menschenrechte der UN hat die Menschenrechtsverletzungen kritisiert. Kann internationaler Druck zu Ermittlungen führen?

Ich vertraue darauf, dass die Verantwortlichen für die Morde im Nachgang der Wahlen zu gegebener Zeit ins Gefängnis kommen werden. Ich glaube aber, den stärksten Druck üben wir innerhalb des Landes aus. Wir vom Team der MADJ bemühen uns sehr, gegen die Menschenrechtsverletzungen vorzugehen. Wir haben mit der Zeit an Erfahrungen gewonnen und wir haben verstanden, dass wir gewisse politische Prozesse durchbrechen müssen.

Die MADJ kämpft auch für das Recht auf eine intakte Umwelt. In welcher Weise gefährden die zahlreichen Staudammprojekte im Department Atlántida, wo sie ansässig sind, dieses Recht?

In vielen Fällen wurde der Wille der Bevölkerung nicht respektiert, ihr wurde die Möglichkeit der Partizipation genommen, und die Behörden erwiesen sich bei der Erteilung von Genehmigungen als Komplizen der Unternehmen. Bei einigen Projekten wurden nicht die angemessenen Maßnahmen ergriffen, um Umweltschäden zu verhindern. Die Unternehmen haben beim Bau die Umwelt zerstört. Sie haben auch Projekte zerstört, die die Gemeinden aus eigener Anstrengung und mit eigenen Händen aufgebaut hatten. Damit verletzen sie die Würde der Bevölkerung. In diesen Punkten liegt aber auch die Ursache für die Stärke im Kampf um die Territorien und für die Selbstbestimmung der Gemeinden. Darüber hinaus gefährden die Projekte, denen wir uns in den organisierten Gemeinden entgegenstellen, das Menschenrecht auf Wasser.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Bei dem Wasserkraftprojekt Pajuiles in Tela, Atlántida ist die einzige Wasserquelle von fünf Gemeinden betroffen, und insgesamt werden um die 20 Gemeinden Einfluss zu spüren bekommen. Die Firmen haben bereits das Wasser verschmutzt, noch bevor das Projekt installiert ist. In einem anderen Projekt am Fluss Jilamíto in Arizona, Atlántida wurden die Gemeinden bereits von drei Flüssen vertrieben und der Jilamíto ist als einzige Wasserquelle für den künftigen menschlichen Konsum übrig geblieben. Dort will das Unternehmen INGELSA ein Projekt installieren, obwohl sich die Gemeinde 2015 in einer Bürgerversammlung gegen weitere Wasserkraftprojekte ausgesprochen hat.

Im Mordfall Berta Cáceres ist kürzlich der Geschäftsführer des Wasserkraftunternehmens DESA, David Castillo, festgenommen worden. Er soll auch Kontakte zum Drogenkartell der Cachiros unterhalten haben. Spielt das organisierte Verbrechen auch in anderen Projekten in Honduras eine Rolle?

Definitiv. Honduras wird vom organisierten Verbrechen regiert, repräsentiert durch eine Allianz aus Politik und Wirtschaft. David Castillo war nur ein Werkzeug, hinter dem die Führungsebene von DESA steht. Wir sollten aber nicht nur die internen Finanzstrukturen anschauen. Es ist jetzt aufgefallen, dass David Castillo Gelder für Solarenergieprojekte im Süden von Honduras (an denen auch die Cachiros beteiligt sind, Anm. d. Red.) vom norwegischen Investmentfonds Norfund erhalten hat. Strukturen aus dem In- und Ausland sind also miteinander verknüpft. In diesem Sektor wird ständig manipuliert, und es kommt zu Menschenrechtsverletzungen bis hin zum Tod, wie es im Fall von Berta Cáceres geschehen ist.

Eigentlich sollte die Antikorruptionsmission MACCIH ja die Korruption durch staatliche Funktionäre aufklären. Nun wurde die Arbeit der MACCIH vom Parlament und vom Obersten Gerichtshof ausgehebelt.

Ja, wir glauben, dass der MACCIH ein Gnadenschuss gegeben wurde. Die kriminelle Struktur in Honduras hat gesagt: Hier geben wir den Ton an, hier herrscht die absolute Straflosigkeit. Aber es hat auch etwas mit der Komplizenschaft zwischen der De-facto-Regierung, die ihre Macht nur durch Militär- und Polizeikugeln aufrechterhält, und internationalen Organisationen zu tun. Die Organisation Amerikanischer Staaten und die Wahlbeobachtungsmission der Europäischen Union verleihen der Korruption in Honduras ihre Gültigkeit. Auf diese korrupten Strukturen zu setzen, heißt, auf die Vernichtung der Umweltschützer*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen in Honduras zu setzen, sowie die Vernichtung der sozialen Bewegung, die sich gegen die Korruption und den Wahlbetrug erhoben hat.

Was bedeuten weitere vier Jahre es Regimes von Juan Orlando Hernández und der Nationalen Partei für Honduras?

Im Grunde ist die Instabilität, mit der sich Honduras heute entwickelt, das Schlimmste. Und ich glaube, es ist ein Fehler der internationalen Gemeinschaft, die kritische Situation, in der die Honduraner*innen leben, einfach zu ignorieren. In unseren Kreisen sagt man: Nur die Bevölkerung selbst wird die Bevölkerung retten. Wir denken, dass wir von innen die Bedingungen schaffen können, um die Ordnung, oder besser gesagt Unordnung, die sie uns von oben auferlegen, zu durchbrechen.

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