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Gemeinnützige Bauhütten als Vorbild

Kommunale Wohnungsbaubetriebe könnten Engpässe in der Bauwirtschaft beheben, meint der Stadtsoziologe Andrej Holm

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 4 Min.

Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften müssen in den kommenden Jahren bundesweit Hunderttausende bezahlbare Wohnungen schaffen. Rasant steigende Baupreise gefährden das Ziel. Sie fordern den Aufbau einer gemeinnützigen Bauwirtschaft.

Eine Wohnungsgemeinnützigkeit gibt es ja in Deutschland leider nicht. Zurzeit sind vor allem öffentliche Wohnungsunternehmen, Genossenschaften und andere Non-Profit-Bauträger gefragt, denn dauerhaft leistbare Wohnungen sind von Privaten nicht zu erwarten. Die steigenden Baukosten treiben leider auch die Preise für soziale Bauprojekte. Wir beobachten einen typischen Markteffekt, bei dem die Nachfrage nach Bauleistungen schneller gestiegen ist als das Angebot. Private Baufirmen nutzen das aus und erhöhen die Preise. In der Praxis der Kettenvergabe an Sub-Sub-Sub-Unternehmen schlagen sich solche Markteffekte mehrfach nieder. Eine gemeinnützige Bauwirtschaft, die auf solche Extragewinne verzichtet, könnte ein verlässliches Bauen garantieren. Zudem wären öffentliche Planungs- und Baukapazitäten auch eine Voraussetzung für das zügige Bauen, denn schon jetzt gibt es immer wieder Engpässe der regionalen Bauwirtschaft, so dass öffentliche Aufträge nicht angenommen werden.

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Wollen Sie die Wohnungsbaukombinate der DDR wieder aufleben lassen?

Nein. Das Ziel ist ja nicht, 100 Prozent des Bauens in öffentliche Hände zu legen oder eine Monopolisierung zu schaffen. Es ginge zunächst nur darum, Bereiche zu identifizieren, bei denen es nicht für alle Bauaktivitäten reicht. Wenn die entsprechende Kapazität im Gerüstbau fehlt, steht die Baustelle erst mal still. Ein eigener Betrieb ist besser steuerbar. Außerdem werden die Bauinvestitionen in den nächsten Jahren kontinuierlich sehr hoch sein. Allein in Berlin geht es bei Wohnungs- und Schulbau, Sanierungen und dem Verkehrsbau um zwei bis drei Milliarden Euro jährlich.

Die Verwaltung versucht über Aufträge an Generalunternehmer im Schulbau das Risiko zu reduzieren.

Ja, aber die Beauftragung von Generalunternehmern ist in der Summe teurer und vor allem wesentlich unflexibler, wenn sich Planungsanforderungen verändern. Was ist, wenn wir in den nächsten Jahren wollen, dass Schulen mit anderen kommunalen Nutzungen verbunden werden sollen? Generalunternehmer werden bei solchen Planänderungen komplizierten Nachverhandlungen und hohe Nachzahlungen auslösen. Zudem trägt diese Art der Vergabe zur Monopolisierung bei, weil nur eine Handvoll großer Unternehmen solche Aufträge übernehmen können. Deshalb der Vorschlag, eigene Planungs- und Baukapazitäten aufzubauen.

Gibt es ein historisches Vorbild für Ihren Vorschlag?

Ja. Es sind die in den 1920er Jahren gegründeten gemeinwirtschaftlichen Bauhütten. Sozial orientierte Wohnbauträger wie die Gehag haben schnell gemerkt, dass das gemeinnützige Wohnen von der privaten Wirtschaft als Konkurrenz wahrgenommen wird. Um der Abhängigkeit von privaten Marktsektoren zu entgehen, wurde dann die Entscheidung getroffen, zusammen mit den Gewerkschaften ein Bauhüttensystem aufzubauen, von dem letztendlich jegliche Bau- und Planungsleistung erbracht werden konnte.

Die Gewerkschaften fallen als Träger heute wohl aus.

Da leistbare Wohnungen vor allem von den kommunalen Unternehmen errichtet werden, müssten die Bauhütten heutzutage als kommunale Betriebe organisiert werden, so dass öffentlich finanzierte Bauleistungen direkt vergeben werden können.

Und eine neue öffentliche Bauwirtschaft ist wirklich keine linke Romantik?

Öffentliche Verantwortung für ein gemeinnütziges Bauen ist keine linke Spinnerei, sondern eine Notwendigkeit. Im Übrigen reagiert ja die Privatwirtschaft nicht anders, und viele Bauträger haben begonnen, eigene Kapazitäten auszubauen, um sich nicht dem Risiko eines schwankenden Marktes auszusetzen. Letztendlich ist es eine wirtschaftlich sinnvolle Reaktion. Und: Öffentliches Bauen ist jetzt auch keine wundersame Ausnahme, sondern hat zum Beispiel mit den Straßen- und Autobahnmeistereien eine lange Tradition.

Wann könnten die Bauhütten ihren Betrieb aufnehmen?

Das hängt vom politischen Entscheidungswillen ab. Es gibt noch keinen Masterplan für das öffentliche Bauen in Berlin, aber eine Diskussion darüber hat begonnen. Mit dem Ausbau von öffentlichen Planungsbüros und Baufirmen in einzelnen Gewerken kann relativ zügig begonnen werden. In den 1920er Jahren hat es fünf, sechs Jahre gebraucht, um, von der ersten Bauhütte ausgehend, eine vollständig ausgeprägte soziale Bauwirtschaft zu entwickeln.

DEMO: Mietenwahnsinn widersetzen, ab 14 Uhr, Potsdamer Platz, Berlin

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