Wie Ackererde und Trinkwasser

Postum ist Joachim John mit einem Preis geehrt worden. Die Galerie Parterre zeigt jetzt Werke des Künstlers

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 5 Min.

John war ein Unikum. Vor wenigen Wochen schickte er mir eine Zeichnung auf zerfranster Pappe im Postkartenformat. Überschrift: »85-jähriger Solo-Tangotänzer in Neu Frauenmark«. Darauf hüpft und dreht er sich wie ein krauses Reh, das eine Knie hochgezogen, der rechte Arm hochgewinkelt, die linke Hand nach außen gestreckt, der Kopf wie eine faulende Birne schwärzlich, zerkritzelt. Das Ganze in Bewegung en miniature. Der Greis in launiger Verfassung, Bote von Fröhlichkeit.

Dergleichen waren solch kleine, knitterförmigen Kommentare zu momentanen Zuständen bei ihm. Die dunklen zeichnete er auch. Seine Kopfbilder von sich selbst - über Jahre hinweg seinen Briefen aufgedrückt, als wären sie sein Logo, wirken, einmal hintereinandergesetzt, wie Markierungen eines abfallenden Glissandos. Ins Auge fällt: Von Bogen zu Bogen mehr, so will es die Feder, verschließt sich sein Gesicht, gerät immer gitterförmiger, die Schraffur immer enger. Und bevor es zu Ende ging, strich er sich gleichsam zu.

Nun bedeckt ihn ein Leichentuch. Joachim John starb am 26. März in seinem Haus in Neu Frauenmark bei Schwerin. Am Dienstag erhielt er postum den Egmont-Schaefer-Preis für Zeichnung des Berliner Kabinetts. In Kooperation mit dem Kabinett zeigt jetzt die Galerie Parterre aus diesem Anlass eine Kollektion aus Johns zeichnerischem Werk, an die 80 Arbeiten, darunter noch unveröffentlichte Leihgaben aus dem John-Bestand der Akademie der Künste.

Zur Eröffnung platzte der Raum bald aus den Nähten. John hätte sich gefreut, derart viele Kollegen, Freunde, Bekannte, Bewunderer seines Werkes zu sehen. Er sagte manches Mal, das, was er mache, interessiere doch keinen Hund mehr. Auch zog er es vor, seine Arbeit eher kleinzumachen, als ihren Rang zu betonnen. Aus Kalkül? Bescheidenheit? Uneitelkeit? Das meiste sei Entwurf, er käme nicht weiter, dieses und jenes bedürfe der Überarbeitung. Außerdem, die großen Formate, vor Jahrzehnten gemacht für Theaterfoyers in Schwerin und Cottbus, habe er längst entsorgen lassen. Danach frage keiner mehr, und »das Zeug« nehme bloß Platz weg.

Friedrich Dieckmann, 80 Jahre alt, einer der letzten allseits gebildeten Gelehrten und produktiven Schriftsteller, hielt die Eröffnungsrede. Erwartungsgemäß ein glänzender Vortrag. Seit Langem kennt er John und schätzt dessen Werk, und im Gegenzug fand John in ihm einen unerhört anregenden Gesprächspartner und Kenner der Materie. Dieckmann überschrieb seinen bald halbstündigen Vortrag mit »Altersweisheit? Alterskühnheit! - Zum Werk Joachim Johns«. Er beschreibt den Werdegang des Künstlers, die Gründe, warum der aus Böhmen stammende John trotz mehrmaliger Wechsel über die deutsch-deutsche Demarkationslinie in der DDR blieb, sich dort gut fühlte und nach der Wende nicht mit dem »Einheitsvolk« nach Vaterland und DM schrie, wohl aber als zu den Wurzeln der Übel vordringender Skeptiker seine Arbeit verrichtete.

Nun unter neuen Gesichtspunkten, aber derselben Geisteshaltung, mit derselben Feder, derselben Kaltnadel und Tinte, denselben Pinseln, Kohlestiften, Federkielen, demselben Stoff, Karton, Papier. Und er zitiert John: »Am Beruf hatte die Gesellschaftsordnung teil, ich erhielt gute Stipendien. Schwierigkeiten, zum Beispiel Ärger und Streit mit Staathaltern, hielt ich für zum Künstlermetier gehörend. Freiheiten habe ich mir mit Einsichten in die Möglichkeiten genommen. Es war meine Jugend- und Jungmännerzeit.«

Und die fällt in die 60er Jahre, als er »maßstabsetzende Kontakte« schließt zu Altmeistern wie Gabriele Mucchi und Arno Mohr, Herbert Tucholski und John Heartfield. Johns Lebensgeschichte kommt in ausgesuchten Zügen als Ganzes zum Sprechen. Von seinen frühen künstlerischen Neigungen über seine Reifezeit, geprägt durch Fritz Cremer, Otto Niemeyer-Holstein und seinen Akademie-Lehrer, den Dresdner Hans-Theo Richter, bis in die jüngste Periode des John’schen Künstlerdaseins. Breit und hellsichtig dringt Dieckmann in Werk-Komplexe vor, beschreibt Gestaltungsarten und sittliche, humane Maßstäbe, die John stets an die eigene Produktion angelegt hat, und verweist auf die Scharfsichtigkeit seiner Zeitdiagnosen.

Hohe Würdigung erfährt des Künstlers Alterswerk. John sei über die Debatten um figürliche und abstrakte Kunst weit hinausgelangt. Bilder wie »Engel der Geschichte« seien »Gebilde von traumentsprungener Fragilität, und in all ihrer Bizarrerie sind sie vollkommen realistisch: Inbilder eines von einem unbeirrbaren Profitwahn ins Zentrifugale gesetzten Weltunwesens, bei dem sich die Grenze zwischen Objekt und Subjekt immer mehr verwischt; die Subjekte werden zu Funktionen ihrer eigenen Technisierung.«

Der Satz ist kompliziert, aber er trifft sehr genau die Objekt- und Figurenwelt, die John im Angesicht des kapitalistischen Wahns und der darin sich vermehrenden Ungeheuer seinen Blättern injiziert hat. Was nicht oder nur beiläufig zur Sprache kam: Johns Antikapitalismus aus Erfahrung, Überzeugung und Wissen. Dass er mit Heiner Müller in der Nachwende-Vereinigungsarbeit der Akademie der Künste gut Partner war und Volker Braun nicht nur als Dichter hoch schätzte, sondern genauso als Kritiker der Verhältnisse und politischer Verbündeter, streift Dieckmann.

Wer über John als Mensch und Künstler Profundes erfahren will, der sollte sich den Vortrag beschaffen. Abdruck in Arbeitsheft XVIII der Galerie Parterre, das gleichzeitig Katalog der Ausstellung ist. Darin enthalten neben reihenweise Zeichnungen auch ein kurzer Briefwechsel John/Braun, sodann instruktive Texte Wolfgang Lebers und Frank Dierschs zu John.

Attraktion der Auftritt Holger Johns, des Sohnes, Mann mit schwarzem Krempenhut. Den nahm er, bevor er ans Mikro ging, höflicherweise ab. Er, der schon als Zehnjähriger mit Zeichnungen Preise gewann, zählt zu den Hochbegabten der aufklärerischen, humanistischen Kunstszene; Galerist in Dresden, dabei dem Vater häufig genug behilflich, weiter bekannt zu werden. Verschmitzt ging er auf einige Marotten seines Altvorderen ein, wie sehr er unter dem Genie als Knabe gelitten habe und dem Alten zuletzt nichts weiter nachsagen konnte, als dass er stolz sei auf ihn und dessen grandiose künstlerische Leistung klar erkenne. Auch er lobte besonders das Alterswerk.

Frage der Präsidentin der Akademie der Künste an alle Mitglieder: Was ist die Aufgabe der Kunst im 20. Jahrhundert? John: »Sie hat keine. Das Gebären des Weltfriedens kann sie der Gesellschaft nicht abnehmen. Die Kunst hat zu sein. Wie Ackererde und Trinkwasser.«

»Joachim John. Egmont-Schaefer-Preis für Zeichnung«, bis zum 24. Juni in der Galerie Parterre, Danziger Straße 101, Prenzlauer Berg

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