Existenznöte

Personalie

  • Christian Baron
  • Lesedauer: 2 Min.

Könnte man Wetten darauf abschließen, wie der Kulturbetrieb der sogenannten westlichen Wertegemeinschaft in einigen Jahren aussehen wird, dann gäbe es sicher Wahnsinnsquoten. Vor allem im Filmgeschäft hielten sich jahrelang in den USA und in Europa patriarchale Strukturen, innerhalb derer mächtige Männer ungestört zu sexualisierter Gewalt greifen konnten. Binnen kürzester Zeit ist dieses System mit einer ungeahnten Wucht ins Wanken geraten. Der Hollywoodproduzent Harvey Weinstein und der deutsche Regisseur Dieter Wedel sind dafür nur die medial am stärksten fokussierten Beispiele. Jeden Tag kann der nächste Fall der veröffentlichten Erregungsmaschinerie überraschend neuen Schwung verleihen.

Jetzt hat sich erstmals eine Domäne der Hochkultur mit einem Skandal in die Bredouille gebracht. Binnen weniger Tage sind aus Protest drei der 18 Mitglieder der für die jährliche Verleihung des Literaturnobelpreises zuständigen Schwedischen Akademie zurückgetreten. Der Grund: Die schwedische Tageszeitung »Dagens Nyheter« hatte vor Monaten berichtet, dass der Kulturfunktionär Jean-Claude Arnault 18 weibliche Mitglieder der Akademie, Frauen oder Töchter von Akademiemitgliedern und Mitarbeiterinnen sexuell belästigt oder missbraucht haben soll. Seine Frau, die Dichterin Katarina Frostenson, soll als Akademiemitglied dem Forum ihres Mannes über die Akademie dennoch Subventionen zugeschoben haben. Frostenson ist mittlerweile ebenfalls zurückgetreten.

In Existenznöte bringt die Institution der Umstand, dass auch die Ständige Sekretärin Sara Danius ihren Hut genommen hat. Sie gebe nicht nur den Vorsitz, sondern auch ihren Platz in der Akademie auf, sagte die 56-Jährige. Das sei der Willen der Akademie. Ihr als zu zögerlich empfundener Umgang mit den Vorwürfen war zuletzt kritisiert worden. Die Literaturwissenschaftlerin war 2015 zur Ständigen Sekretärin ernannt worden und die erste weibliche Vorsitzende des Gremiums. Nun ist eine Debatte darüber entbrannt, wie es weitergeht. Im Raum steht auch die Frage, ob die Akademie überhaupt noch zeitgemäß ist.

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