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Der Bessermacher
Trainer Florian Kohfeldt beendet Bremens Identitätskrise - und bricht nebenbei einen Rekord von Otto Rehhagel
Aus seiner Verbundenheit zum SV Werder macht Jörg Wontorra gar keinen Hehl. Kaum war der Fernsehmoderator aus dem Fernsehstudio in Unterföhring bei München im Bremer Weserstadion eingeflogen, ließ er sich auch schon vor der Bundesligapartie gegen RB Leipzig (1:1) vom Stadionsprecher und Fernsehkollege Arnd Zeigler verhören. Was ihm an seinem Herzensverein aktuell sehr gefällt, ließ der fast 70-Jährige mehr als 40 000 Zuschauer wissen: »Werder hat wieder Visionen.«
Dafür gab es vor dem Anpfiff zwar nicht ganz so viel Applaus wie nach dem Abpfiff einer sehr ansehnlichen Auseinandersetzung, aber die These stimmt: Die Ovationen fielen im Nachgang so anhaltend aus, als hätten die Grün-Weißen am Sonntagabend ein wichtiges Europapokalspiel gewonnen. Dabei hatten sie nur den letzten aus der Europa League ausgeschiedenen Vertreter, der laut RB-Trainer Ralph Hasenhüttl die gesamte erste Halbzeit damit beschäftigt war »die Blutung zu stillen«, ein gerechtes Remis abgeluchst. Gleichwohl besitzt das Bremer Publikum ein feines Gespür für das Machbare und steht anders als beispielsweise die Hamburger Besucherschaft nicht im Verdacht, aus der Geltung der Stadt oder der Historie des Vereins eine überbordende Erwartungshaltung abzuleiten.
Trotzdem ist auch in der Werder-Raute ein nicht verhandelbarer Anspruch eingepflegt: nämlich immer nach vorne zu spielen. Insofern besaß vor allem der vogelwilde Schlagabtausch der Schlussphase für die Zuschauer etwas Identitätsstiftendes. »Auf die Art und Weise wie wir gespielt haben, bin ich stolz: bis zuletzt auf Sieg. Das ist es, wofür wir hier in Bremen stehen wollen«, sagte Trainer Florian Kohfeldt, der beim letzten Angriffszug, als der aufgerückte Abwehrchef Niklas Moisander beinahe seinen zweiten Treffer erzielt hätte, selbst mitgestürmt war (87.). »Ich habe das gar nicht gemerkt, aber ich hätte ihn auch nicht rein gemacht.« Der 35-Jährige wusste, dass am Ende die Harakiri-Taktik leicht hätte schiefgehen können, wenn sein sagenhafter Schlussmann Jiri Pavlenka gegen Nationalspieler Timo Werner kurz zuvor nicht mal wieder ein Eins-gegen-Eins-Duell gewonnen hätte (85.).
Solch ein Rauf-und-Runter lief in Dauerschleife am Osterdeich, als an der Seitenlinie noch Thomas Schaaf oder Otto Rehhagel antrieben. Viele sehen in Kohfeldt - der mit zehn ungeschlagenen Heimspielen den Startrekord von »König Otto« eroberte - einen legitimen Erben. Heutzutage wirken anderthalb Jahrzehnte auf der Bremer Trainerbank ungefähr so wahrscheinlich wie eine tragfähige Eisfläche im Winter auf der Weser. Und doch belegt die kürzlich erfolgte Vertragsverlängerung mit Kohfeldts Trainerteam bis 2021 zweierlei: Dass es sich definitiv um einen Kandidaten für eine Langzeitlösung handelt. Und dass mindestens ein Spitzenverein schon auf dessen Fährte war.
Es braucht ja nur die Tabellenbilder vom zehnten und 30. Spieltag, um die Entwicklung unter dem von der U23 beförderten Coach zu beschreiben. Werder war damals siegloser Vorletzter, mit fünf Punkten. Seitdem hat das Team 32 Zähler erspielt. In dieser Zeitspanne waren nur der FC Bayern, Schalke 04 und Leverkusen besser. Doch der Bessermacher klopft sich nicht auf die Schulter: »Die Kohfeldt-Tabelle ist nicht die wahre Tabelle. Ich orientiere mich an der Realität - und da sind wir Zwölfter.« Und deshalb gehe es darum, am Sonnabend in Stuttgart »unbedingt die letzten Fragezeichen wegzuwischen«. Am Klassenerhalt versteht sich.
Kohfeldt hat im Blick, dass danach die Champions-League-Anwärter Dortmund und Leverkusen die von ihm errichtete Festung Weserstadion auch mal wieder einnehmen könnten. Gleichwohl: Die spielerischen und taktischen Fortschritte versprechen hohen Unterhaltungswert in den letzten Heimspielen der Saison, wenn sich die Leipzig-Leistung wiederholen lässt. »Positionsspiel, Ballbesitzphasen, Tempo, Zug zum Tor, Konterabsicherung - das hat alles gestimmt«, lobte Kohfeldt. Dennoch sei seine Mannschaft von einem Spitzenteam noch »weit, weit entfernt«. Denn: »Eine Entwicklung dauert Monate und Jahre. Aber unsere Grundrichtung stimmt.« Und dass sich im Frühjahr 2018 überhaupt wieder etwas bei Werder entwickelt, hat so mancher Kritiker, zu denen auch Kolumnenschreiber Wontorra gehört, im Herbst 2017 nicht für möglich gehalten.
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