Team Visma: Jonas Vingegaard und seine obsessiven »Killer-Bienen«

Wie das Team Visma versucht, den Tour-Favoriten Tadej Pogačar zu knacken

  • Tom Mustroph, Toulouse
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Verfolger machen Tempo: Sepp Kuss (v.) und seine Teamkollegen von Visma wollen das Pogačar-Team unter Druck setzen.
Die Verfolger machen Tempo: Sepp Kuss (v.) und seine Teamkollegen von Visma wollen das Pogačar-Team unter Druck setzen.

Jonas Vingegaards Team Visma hat bei dieser Tour de France nur ein Ziel: Tadej Pogačar maximal zu erschöpfen. Bislang hält der Slowene dagegen. Doch nun droht ihm in dieser Woche der Showdown auf Hautacam, wo er vor drei Jahren die Tour gegen Jonas Vingegaard endgültig verlor. »Noch haben wir ihn nicht brechen können«, gestand Sepp Kuss am Ende der zehnten Etappe ein. Mit dem US-Amerikaner voran hatte Visma viel unternommen an diesem Tag: Zwei Mann in die Fluchtgruppe geschickt, von denen einer, der Brite Simon Yates, auch Tagessieger wurde.

Arbeiten für den richtigen Moment

In der Favoritengruppe hatten die gelb-schwarz gekleideten und mit dem Kampfnamen »Killer-Bienen« betitelten Helfer Vingegaards immer mal wieder für kraftraubende Beschleunigungen gesorgt. Bislang ohne Ergebnis. »Aber wir werden es weiter versuchen, jeden Tag. Denn man weiß nie, wann der Moment gekommen ist, wann er zusammenbricht«, bezog sich Kuss auf Pogačar, den Hauptrivalen seines Rennstalls. Diesem Ziel ist alles andere untergeordnet. Etappensiege wie den von Giro-Gewinner Yates nimmt man gerne als Beifang mit. »Eigentlich bin ich in die Gruppe gegangen, um für Jonas da zu sein, falls im Finale in der Favoritengruppe etwas Ungewöhnliches passiert. Als dann aber klar war, dass der Abstand groß genug ist, habe ich mich umorientiert und konnte auf eigene Rechnung fahren«, schilderte Yates Rennverlauf und Prioritätensetzung.

Man kann fast von einer Obsession sprechen. Denn an manchen Tagen drückte Visma im Hauptfeld vor allem deshalb aufs Tempo, um Pogačar im Gelben Trikot zu halten. Nicht weil sie das dem Rivalen besonders gönnen würden. Hintergrund ist vielmehr, dass der Slowene durch Siegerzeremonie und Pressekonferenzen noch zusätzliche Energie verlieren sollte.

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Bemerkenswerter Einbruch

Nach dem Ritt durch das Zentralmassiv erlöste der Ire Ben Healey aber erst mal den 26-jährigen Favoriten und schlüpfte aus der Fluchtgruppe heraus ins Gelbe Trikot. Spätestens am Donnerstagabend, nach der ersten Fahrt durch die Pyrenäen, dürfte aber wieder Tadej Pogačar in Gelb sein. Oder doch sein Rivale Vingegaard? Denn Hautacam markiert einen der wenigen Einbrüche in der Karriere des Überfliegers aus Slowenien. Im Jahr 2022 nahm ihm der Däne dort mehr als eine Minute ab – und gewann die Gesamtwertung der Tour. Begleitet wurde er damals vom belgischen Klassikerspezialisten Wout van Aert.

In diesem Jahr ist die Berghelferschar von noch höherer Qualität. Matteo Jorgenson ist als Gesamtfünfter – nur 20 Sekunden hinter Vingegaard – ohnehin die zweite Option für Visma im Klassement. Eigene Klasse am Berg verkörpert auch Simon Yates. Und dann ist da noch der frühere Vuelta-Sieger Kuss. Der freut sich schon ganz besonders auf das französisch-spanische Grenzgebirge: »Die Berge in den Pyrenäen liegen mir. Wir werden dort weiter versuchen, Pogačar und sein Team zu brechen.«

Wenige Helfer

Der Slowene und das Emirates-Team müssen hingegen auf den wichtigsten Helfer verzichten: João Almeida stieg nach einem Sturz aus. Der Portugiese ist nicht nur ein formidabler Kletterer, sondern war auch in der Gesamtwertung gut platziert. »Wir müssen jetzt unsere Strategie ändern. Statt zwei Spitzen haben wir mit Tadej jetzt nur eine. Und auf die anderen Helfer kommt mehr Arbeit zu«, erklärte Teamchef Mauro Gianetti »nd«. Für die Gegner, vor allem Vingegaard und dessen Team, erleichtert dies die Zermürbungsarbeit. Und der Däne hat einen weiteren Vorteil: Er ist in diesem Jahr ähnlich explosiv wie Pogačar. »Das verleiht mir Selbstvertrauen. Ich merke, dass das Training angeschlagen hat und ich mich verbessert habe«, sagte er.

Selbst wenn viele Details eingangs der zweiten Tourwoche nun für Vingegaard zu sprechen scheinen, so kompensieren sie doch selbst in der Summe nicht den Vorteil, den Pogačar auf dem Ergebnisbogen hat: 77 Sekunden Vorsprung auf Vingegaard. Genau diese Konstellation aber lässt die Etappen in den Pyrenäen nun interessanter erscheinen als die Situation vor einem Jahr. Vingegaard und Visma müssen nur den richtigen Hebel fürs Brechen finden – und dabei selbst Robustheit bewahren.

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