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Die Surrealität der Realität

Das Künstlerpaar Hannelore Teutsch und Reinhard Jacob stellt in der Galerie 100 aus

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 4 Min.

»Nach den Veduten« nennt Hannelore Teutsch ihre Ausstellung mit Stadtansichten, Figurenbildern und Stillleben, Bildern einer beunruhigenden Poesie, während ihr Lebenspartner Reinhard Jacob plastische Miniaturen, Plastiken, Wandreliefs, Arbeiten zur Architektur zu einem »Gesamtkunstwerk« zusammengestellt hat.

Als Veduten werden abbildende Darstellungen einer Landschaft oder eines Stadtbilds bezeichnet, deren Ziel die wirklichkeitsgetreue Wiedergabe des topografischen Bildgegenstands ist. Die Schauplätze von Hannelore Teutschs Bildern »F 92. Nächtlicher Dachgarten« (2009), die Mühlendammbrücke in Berlin-Mitte (»Von C nach B«, 2013), »Abend am Ostkreuz« (2013/14), der S-Bahnhof Pankow (»ZAT«, 2015), »Berliner S-Bahntunnel« (2018) oder »Stadtraum I und II« sind Orte, wo unvereinbare Dinge und paradoxe Situationen in harter geometrischer Perspektivik zusammenkommen und Rätsel bereithalten.

Eine Schönheit des Seltsamen, die aus unerwarteten Zusammenstellungen von Worten und Buchstaben (siehe die mitunter rätselhaften Titel der Bilder), Klängen, Bildern, Dingen und Personen entstanden ist. Unter der rationalen und sinnlichen Oberfläche der Bilder, hinter der festen körperlichen Welt verspürt man so etwas wie die Unruhe eines Alptraums. Das Beunruhigende, Geheimnisvolle, Melancholische verdichtet sich zu visuellen Gleichnissen. Eine Bildwelt zwischen romantischer Malerei, Surrealismus und Neuer Sachlichkeit.

Ein luft-, aber auch nahezu menschenleeres Ambiente, ungewöhnlich für eine Großstadt wie Berlin. Die Sonne setzt die Gegenstände in ein klares, hartes Licht, die Nacht gibt ihnen eine Aura des Unheimlichen, niemals erzeugt sie die Illusion einer freundlichen, tröstlichen Welt. Wenn die Malerin Figuren zeigt, dann stehen sie isoliert, wie im Selbstgespräch vertieft, sie ähneln Statuen, Schaufensterpuppen, sind Bilder dieser stummen Welt des magischen Gegenüber, Symbole des fragmentarischen modernen Ich-Bewusstseins. Lautlos haben sich Gedanken auf den Figuren und Gegenständen abgelagert.

»Die ruhlosen Wege« (2015): Es herrscht Totenstille auf diesem sonst von Verkehrslärm erfüllten Platz, ein Lastwagen ist mit schneebedeckter Vorderfront in einer Schneewehe stecken geblieben, ein Straßenfeger fegt an verkehrter Stelle Schnee - im Vordergrund aber kommt Fra Angelicos Verkündigungsengel auf einem Motorrad daher. Welche Botschaft vermittelt er dem Betrachter?

»Von C zu B«, es ist die Mühlenstraße mit dem Blick auf das Nikolaiviertel in Berlin-Mitte - eine Brücke, auf der eine Frau ihren Schritt verlangsamt - kehrt sie um oder wird sie weitergehen? Wird der Mann im Hintergrund die Treppe hinaufgehen oder wird er innehalten? Als »Pendelbewegungen unseres Lebens« hat die Künstlerin ihr Bild beschrieben. Einen großen Teil unserer Zeit verbringen wir nicht nur auf dem Weg von A nach B, sondern eben auch von C nach B - es geht voran und zurück, herauf und herunter. Kann uns da das Fließen des Flusses in eine Richtung mehr Hoffnung bringen?

Im Bild »ZAT« (Zugabfertigung durch den Triebwagenführer) steht eine weibliche Figur erschrocken vor einem Bild mit der lebensgroßen Gestalt eines frühneuzeitlichen Pestarztes in der typisch schnabelartigen Haubenmaske und dem bodenlangen Gewand. Unvermutet im Alltag, beim gewohnten Warten auf die nächste S-Bahn, wird einem das Risiko des Lebens bewusst. Haben wir alle einen »Triebwarenführer«, der Ankunft und Abfahrt in unserem Leben regelt oder sind wir ganz auf uns allein gestellt?

Es ist das Eigenleben der Dinge - ihre vom menschlichen Leben unabhängige Existenz -, was Hannelore Teutsch wohl zu ihren Themen hinzog: die Surrealität der Realität, die Wahrnehmung des Realen als irritierendes Bild, die Fähigkeit des Bildes zur Subversion. Der Betrachter soll in die Figuren und Gegenstände eindringen, den Bildzusammenhang entschlüsseln, seine Phantasie spielen lassen. Ein erneutes Betrachten wird dann auch wieder neue, andere Erkenntnisse zeitigen, so bleiben die Bilder mit uns im Gespräch.

Zusammen mit Hannelore Teutsch unterhält Reinhard Jacob ein Atelier für Gestaltung, in dem es um figürliche Plastik, Farbgestaltung, Restaurierungen, Gedenktafeln und Epitaphien, um künstlerische Gestaltungen in öffentlichen Einrichtungen wie auch für private Interieurs geht. Aus seinem vielseitigen Schaffen als Bildhauer und Gestalter hat er eine Auswahl seiner plastischen Miniaturen, seiner Bronzebüsten und Reliefs, seiner farbigen Keramiken und Hinterglasmalereien, Bildplatten und Wandbilder, Farb- und Materialstudien zusammengestellt. Sie sind Teile eines Ganzen, Teile eines Gesamtkunstwerkes, das kann - so Reinhard Jacob - »eine gebaute, bewohnbare Skulptur, auch ein Haus, Gebäude, Bauwerk genannt - ein durchaus verwirklichbarer Traum« werden.

Das Spiel mit Realität und Fiktion, Raum und Zeit, Farbe und Form, das Hannelore Teutsch mit ihren Arbeiten betreibt, setzt Reinhard Jacob im Größeren fort - als ein Spiel zwischen den künstlerischen Medien, ein Spiel von Gegenständlichem und Abstraktem, Bildkünstlerischem und Architektonischem, geschlossener Form und offenem Raum, zahlreichen Entsprechungen und Übergängen von außen und innen, einer Vielfalt unterschiedlicher Materialien, Gestaltungsformen und medialer Übertragungen. Auch dies ist ein Spiel voller visueller und psychischer Vieldeutigkeiten.

Reinhard Jacob erhofft sich, dass seine Designs für die fiktive Welt der Kunst eine veredelnde Wirkung haben würde. Das sind aber alles nicht nur Teile von Gestaltideen, Teile von Projekten, sondern vor allem und in erster Linie handelt es sich hier um eigenständige Kunstwerke.

»Hannelore Teutsch - Nach den Veduten. Malerei. Reinhard Jacob - Plastische Miniaturen. Pars pro toto - Arbeiten zur Architektur«. Bis zum 13. Mai in der Galerie 100, Konrad-Wolf-Str. 99, Hohenschönhausen, Di - Fr 10 - 18 Uhr, So 14 - 18 Uhr.

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