Axt und Anmut

Ein berückender Bajuware wird 70 - Schauspieler Josef Bierbichler

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 6 Min.

Er ist das Urbild eines Menschen, der prunkend in sich ruht. Ein Ungejagter. Ein Gastwirtskönigssohn. Ein Waldbesitzer. Ein Schauspielhüne, der als Tschechows Lopachin (bei Zadek) die Liebe suchte, als Horváths Kasimir (bei Marthaler) die Liebe opferte. Wo andere Kerle seiner Statur grobschlächtig und Show sind, ist er grobschmächtig und scheu. In schönster Wucht ein Zarter. Er hat geerbt, das wunderbare Anwesen in Ambach am Starnberger See - Josef Bierbichler ist nicht nur ein Charakter, er lehrt auch, was Besitz sein kann. Ohne viel Geld kommt man höchstens bis zur Unabhängigkeit. Zur Freiheit kommt man nur mit reichlich Geld. Sagt Albert Camus. Bierbichler beweist ihn. Durch Geld ein freier Mann, durch Kunst ein Geltendmacher: Man muss jene Freiheiten bekämpfen, die Geld höher veranschlagen als Liebe. Berühmt sind Bierbichlers Extempores einst in Münchner Aufführungen: Spielend glitt der Text von Shakespeare hinüber zur schärfsten CSU-Beschimpfung. Und der leidenschaftliche Störenfried lässt nicht nach - in heftiger Hoffnung auf den fälligen Gesellschafts-Widerstand derer, »die man in höheren Kreisen so verächtlich ›Gesocks‹ nennt.«

Bierbichler, Jahrgang 1948, ist ein Schauspieler, der seine unverwechselbare Ästhetik pflegt: Bauer zu bleiben. Und im Wald zu ackern, wenn ihn Sehnsucht nach Körperlichkeit überkommt - alles tun, nur um nicht unter die Jogger zu fallen. Er hat dem deutschen Theater Sternstunden beschert. Mit einer Umgangskultur ganz ohne Kunstallüren. Just dies macht sein Spiel so schwebend erdig, so leichtfüßig schwer, wie sich nur einer fühlen kann, der von Berufs wegen fliegen soll. Der Tell bei Peymann, der Galilei bei Tragelehn, der Borkman bei Ostermeier: Grandiositäten.

Immer wieder kann man an diesem großen Verweigerer des Äußerlichen eines fasziniert studieren: Glaubwürdigkeit auf der Bühne. Sie kann so leicht mit Natürlichkeit, Privatem verwechselt werden ist hier aber höchste Gestaltung. Ist Hochzeit von Existenz und Stil. Ist ein Geschenk und Arbeit: »Ich muss karg werden.« Als er den renommierten Gertrud-Eysoldt-Ring erhielt, gab Bierbichler den Großteil seines Preisgeldes an seinen Freund Christoph Schlingensief, an einen Theatermenschen also, »der noch die Kraft hat zu sehen und danach zu handeln, dass der wahre Fluchtweg aus der Wirklichkeit ganz unaufhaltsam in diese hineinführt. Ausweglos.« Schlingensief war beim Festakt im hessischen Bensheim anwesend, verkleidet als Frau Bierbichler.

Ein Anarch des Gegen-Hochdeutschen, und das meint nicht nur seine Sprache, mit der er aus den schwarzen Wäldern kommt. Sorgfältigst sucht er aus, was er im Film oder auf dem Theater spielt. In »Code: unbekannt« von Michael Haneke, mit Juliette Binoche, hat er als ein Mensch vom Dorf nur Suppe gelöffelt, mehr nicht - man sah einen Mann das Leben auslöffeln, das er sich eingebrockt hatte.

Das Spiel des Josef Bierbichler ist eine Frechheit, denn es ist höchster Selbstwert. Es ist der Übermut eines Mannes, der sich souverän nur dort angreifbar macht, wo es den Geist und das Gefühl lohnt, Schmerz zu empfinden. Es ist Sprechtheater, das von Verschwiegenheit träumt. B. K. Tragelehn über ihn: »Nachdenken ist der Grundgestus dieses Schauspielers, dem er alle Gesten, das Material aussetzt, sie sind so einer Versuchsanordnung unterworfen. Er korrigiert sich, auch mitten in der Aufführung, nicht immer zur Freude der anderen.« Eine Test-Person also - wider sich selbst, um ganz bei sich zu bleiben. An Bierbichler könne man sehen, was Erzählen ist: »eine Geschichte freihalten von Erklärungen«. Er hat nichts mehr nötig, so kann sich ein Mensch ganz dem widmen, was ihm notwendig wurde: Steigerung durch Wegnehmen, Anverwandlung durch Verzicht auf Verwandlung. Er zeigt sein Gesicht (nur), um zu zeigen, dass es beim vielen Abbilden nicht verloren ging. Für Aura reicht ihm eine leichte Bewegung seiner Schaufelhände. Dieser kantige Bajuware schaut inzwischen von der Bühne, als mache ihm Wettbewerb, welcher Art auch immer, keine Freude mehr; so weit ist er vom Betriebsstammbaum gefallen. Oder eher gestiegen, als Erzähler (»Mittelreich«) und Regisseur (»Zwei Herren im Anzug«).

Unvergesslich eines seiner sprödesten, innigsten Theaterverstörungen: »Holzschlachten. Ein Stück Arbeit«, vor Jahren an Berlins Schaubühne. Bierbichler spaltet einfach nur Holz, aber eben meisterhaft - und das Holz, wie ein Video zeigt, kommt aus seinem eigenen Wald. Der Schauspieler hackt sich in Schweiß, spricht Texte des Dichters Florian List (1944 - 1990), darin es vor Fenstern schwefelgelb wird und nachts Gespenster am Bett stehen. Gehetzte Texte lebenslanger Verfolgungsängste und seelenbedrückender Weltbeobachtung. Bierbichler läuft im Bühnenrund zwischen den Stämmen, klopft sie ab. Später legt er sich nackt auf den Stapel des Gespaltenen, einen der langen Holzscheite im Arm. In Not umarmt man alles. Auch das Kreuz, das einen töten wird. Nebel auf dem Bühnengrund. Und hohe Musik: Mahler, Auferstehung. Menschenfleisch, Baumfleisch, beides ähnlich hell.

Der Schauspieler installiert mit seiner Performance das Kreatürliche in dessen Widerspruch zur Kultur. Die ja nicht nur Aneignung und Gestaltung ist, sondern auch Anmaßung und Tötung. Vorher hatte Bierbichler, in einem Sessel sitzend, den Rechtfertigungs-Monolog eines KZ-Schlächters geboten. Der Mensch nicht als Krone, sondern als Teil von allem; Gut und Böse als siamesisches Zwillingspaar. Wir sind das Gas, wir sind das sterbende Kind; und im Baum sind wir lebend, wie wir im geschlachteten Baum gestorben sind. Aus dem Doppelbild von Menschenvernichtung und Holzschlachten schuf Bierbichler einen seltsamen, bohrenden Theaterabend über geschändete Unschuld und den Aufstand der Sinne. Für diesen Aufstand reicht ein Stück Baum, um in die verhängnisvollen Kräfte unserer Gattung hineingerissen zu werden. Bierbichler schlachtet Holz fürs Aufbäumen.

Es hat eine bittergeistige Logik, dass dieser Gerbhaut-Komödiant seit Jahren in »Theater der Zeit« sehr zornige Texte zur Zeit veröffentlicht; geschrieben gleichsam mit der blitzenden Axt. Linksgeist-Entladungen, die aus gründlich angestauter Überlegung kommen, wie verkommen die Welt wurde. Welchen Text Bierbichler auch immer spricht oder niederschreibt - die Zunge geht nicht fremd: Bairisch bleibt bairisch. Nichts ist anarchischer als dieser deutsche Südstaat: Mühsam, Graf, Valentin, Polt. Und Bierbichler.

Man lese »Verfluchtes Fleisch«, die Autobiographie seines Denkens. Man hört »das Knistern und Knirschen aus der Seele«. Witz und Schärfe zeigen sich in solchen Sätzen: »Der Konsens, der nun die beste aller Gesellschaftsordnungen erfasste, erzeugte einen Meinungsstau. Seitdem muss ich alle meine Meinungen so lange verbreiten, bis ich keine mehr habe, um endlich meinungsfrei zu sein, denn nichts erstrebe ich mehr als Meinungsfreiheit.« Franz Josef Strauß gehört zu Bierbichlers toten Freunden, »denn er gehörte zu denen, die im Moment ihres Todes meine Freunde geworden sind«.

In einem Porträtfilm über ihn singt der Schauspieler mit hoher, zitternder, hauchdünner Stimme Heiner Goebbels’ »Eislermaterial«, singt das Lied, das zum Holzhacken und zum ganz großen Frieden passt: »Anmut sparet nicht noch Mühe«. Warum er sich gegen den Wirbel des Geschäftigen entschied? An all die eingebildeten Wichtigkeiten will er nicht angeschlossen sein wie an einen Tropf - wir merken meistens nicht, dass in den Kanülen Gift fließt. Josef Bierbichler sagt, er habe keine Lust auf Verdrängung, er möchte sich - als Mahnung zur Konzentration - der Einsamkeit des Sarges bewusst sein, solange er noch am Leben ist. Lächelt zum Weißbier. »Der nahe Tod ist sehr erhellend.« Heute wird dieser großartige Künstler 70 Jahre alt.

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