Eltern streiten für Ganztagsbetreuung

Sachsen-Anhalt: Unterschriftenaktion gegen Abstriche beim Kita-Gesetz des Landes gestartet

  • Hendrik Lasch, Magdeburg
  • Lesedauer: 3 Min.

Johannes Kluck wohnt in Niederndodeleben am Stadtrand von Magdeburg. In der Gemeinde müsste er für die Betreuung seiner Tochter in einer Kita 140 Euro zahlen; es gab aber keinen freien Platz. Also besucht das Kind einen Kindergarten in Magdeburg. Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt stellt Eltern für die gleiche Betreuungszeit weniger als 100 Euro in Rechnung - es sei denn, die Kinder kommen von außerhalb. Dann müssen Eltern die dort geltenden Beträge berappen, in Klucks Fall also 140 Euro. »Diese Ungleichheit«, sagt der junge Vater, »versteht kein Mensch.«

Die großen regionalen Unterschiede bei den Betreuungskosten sind nur ein Umstand, der Eltern an der Kinderbetreuung in dem Bundesland derzeit stört - und den sie verändert wissen möchten. »Die Bedingungen in Sachsen-Anhalt müssen für alle gleich sein«, heißt es in einem Forderungspapier, das der Sozialverband AWO nach einer Reihe von Elternkonferenzen verfasst hat und für das seit dieser Woche Unterschriften gesammelt werden. Gedrängt wird auch auf eine bessere personelle Ausstattung der Krippen, Kitas und Horte, eine Entlastung bei den Elternbeiträgen und nicht zuletzt auf die Beibehaltung des Ganztagsanspruchs unabhängig von der Erwerbssituation der Eltern.

Die Forderungen werden zu einem brisanten Zeitpunkt artikuliert. Vermutlich nächste Woche soll die Novelle des Gesetzes zur Kinderförderung (Kifög) vom Regierungsbündnis aus CDU, SPD und Grünen auf den Weg gebracht werden; am Dienstag dürfte sich der Koalitionsausschuss mit dem Thema befassen. Eine Überarbeitung des geltenden Gesetzes, das vor fünf Jahren von CDU und SPD verabschiedet worden war, gehört zu den wichtigsten Vorhaben der Kenia-Koalition. Bisher lagen die entsprechenden Vorstellungen der Koalitionspartner aber teils weit auseinander.

Beim Thema Kinderbetreuung knirscht es an vielen Stellen. Eltern stöhnen darüber, dass sie immer stärker zur Kasse gebeten werden. Zuletzt sorgten steigende Elternbeiträge in der Stadt Schönebeck für Wirbel. Eine zehnstündige Betreuung in der Kita soll dort künftig monatlich 209 statt 175 Euro kosten, ein Plus von fast 20 Prozent. Die Kommunen hatten derweil den Entzug von Kompetenzen beklagt und waren bis vor das Bundesverfassungsgericht gezogen. Dem Land schließlich laufen die Kosten davon; sie steigen seit Jahren stetig und lagen im Jahr 2017 bei 332 Millionen Euro.

Die Begrenzung der Ausgaben ist ein wichtiges Ziel der Koalition bei der Novelle. Bei Eltern und Trägern stößt das Ansinnen auf Widerspruch. »Bei den Änderungen sollte die optimale Förderung der Kinder im Mittelpunkt stehen«, sagt Steffi Schünemann, Leiterin Sozialpolitik bei der AWO: »Unser Eindruck ist aber, dass der Kostenaspekt im Vordergrund steht.« Geld dürfe in dem Bereich keine Rolle spielen, ergänzt Jennifer Tannenberg, Elternvertreterin in der Kita Knirpsenland in Schönebeck: »Kinder sind schließlich unsere Zukunft und die Fachkräfte von morgen.«

Widerstand zeichnet sich auch gegen Einschnitte beim Ganztagsanspruch ab, wie sie die CDU in die Diskussion gebracht hat. Sie will beim Betreuungsanspruch wieder nach der »Erwerbstätigkeit der Eltern« differenzieren. Das Land soll die Personalkosten nur noch für sechs Stunden am Tag übernehmen. Eine darüber hinaus gehende Betreuung müsse »individuell zwischen Eltern und Trägern der Kindertageseinrichtung verhandelt« werden. Jennifer Tannenberg nennt das »nicht sozial« und fürchtet eine »Zweiklassen-Betreuung«.

Steffi Schünemann von der AWO spricht denn auch von einem »großen Rückschritt«. Schon von 2003 bis 2013 hatten die Kinder von Erwerbslosen keinen Anspruch auf ganztägige Kita-Betreuung. Der Widerstand dagegen hatte im Jahr 2005 zum bisher einzigen - wenngleich nicht erfolgreichen - Volksentscheid im Land geführt. Nun droht die Rolle rückwärts.

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