• Berlin
  • Protest gegen Gentrifizierung

Frühling der Hausbesetzungen angekündigt

Die Initiative »besetzen« will leerstehenden Wohnraum in Eigenregie nutzbar machen

  • Florian Brand
  • Lesedauer: 3 Min.

Um horrenden Mieten und spekulativem Leerstand entgegen zu treten, hat die Initiative »besetzen« dazu aufgerufen, im Frühling dieses Jahres leerstehenden Wohnraum zu besetzen. »Als selbstbestimmte Berliner*innen wollen wir die Unvernunft von Leerstand in einer Stadt mit Wohnungsnot, Armut und Verdrängung nicht länger hinnehmen«, sagte ein Sprecher der Initiative gegenüber »nd«. Seinen Namen will er nicht in der Zeitung lesen. »Wir fordern dazu auf, sich mit den Aktiven und den Nachbar*innen zu solidarisieren und die Logik von Miete und Wohneigentum abzulehnen.«

Gegenüber »nd« bestätigte der Sprecher, dass es Vorbereitungen gebe, in den kommenden Wochen leerstehende Immobilien zu besetzen. Wo und wann besetzt werde, wollte der Sprecher jedoch aus Gründen des Selbstschutzes nicht sagen.

Ähnliche Aktionen gab es in jüngerer Vergangenheit bereits in anderen Städten, wie Göttingen oder Stuttgart. »Wir finden es natürlich unterstützenswert, wenn auch in anderen Städten, wo es ebenfalls massiven Leerstand gibt, Wohnraum zurückerobert wird.« Mit Blick auf andere Hausprojekte, wie die Rigaer Straße 94 in Friedrichshain, sagte der Sprecher weiter, man sei darauf vorbereitet, längerfristig zu bleiben. Es sei schlicht nicht hinnehmbar, dass soziale Teilhabe vom Einkommen und der sozialen, wie kulturellen Herkunft abhängig sei. Mit der Aktion wolle man ein Statement gegen das »System Miete« setzen und einen Diskurs über Hauseigentümer anstoßen, die mit Wohnraumspekulationen hohe Gewinne erwirtschafteten.

Katalin Gennburg, stadtentwicklungspolitische Sprecherin der LINKEN im Abgeordnetenhaus, äußerte gegenüber »nd« grundsätzliches Verständnis für derartige Aktionen. »Wenn so viel Wohnraum durch Spekulation enteignet und das Recht zu wohnen angegriffen wird, ist Besetzen ein legitimes Mittel«, so Gennburg. Sie forderte außerdem, Hausbesetzungen nach englischem Vorbild zu entkriminalisieren.

Offizielle Zahlen zu leerstehenden Immobilien gibt es nicht. Der Berliner Mieterverein schätzt etwa, dass es bis zu 100.000 unbewohnte Wohnungen in Berlin gibt, wovon mehr als die Hälfte seit mindestens sechs Monaten leer steht.

Um dem nun Einhalt gebieten zu können, trat am 1. Mai das überarbeitete Zweckentfremdungsverbotsgesetz in Kraft. Damit können künftig leerstehende Immobilien zwangsenteignet werden. Bislang diente das Gesetz in erster Linie der Bekämpfung von illegal betriebenen Ferienwohnungen. Die Novellierung orientiert sich nun an dem »Hamburger Modell«, wonach Wohnungen künftig nur noch bis zu drei Monate leerstehen dürfen, ehe ein vom Bezirk eingesetzter Treuhänder die Bewirtschaftung der Wohnung übernimmt, im Notfall auf Kosten des Vermieters saniert und anschließend neu vermietet. Der Eigentümer ist anschließend an die neu geschlossenen Mietverträge gebunden.

Vorbild ist Hamburg, wo es bereits seit 2013 einen ähnlichen Paragrafen gibt, der eine zeitweise Zwangsenteignung für Wohnungen vorsieht, die längere Zeit nicht vermietet werden. 2016 fand dieses Gesetz in der Hansestadt zum ersten Mal Anwendung.

Der Sprecher der Initiative »besetzen« äußerte sich skeptisch gegenüber diesem Versuch der Leerstandseindämmung, begrüßte aber gleichzeitig den öffentlichen Druck, der den Berliner Senat dazu gebracht habe, die Novellierung des Zweckentfremdungsverbotsgesetzes voranzutreiben. Man ziehe eine individuelle Verwaltung vor. »Wir nehmen die Parole ›Die Häuser denen, die drin wohnen‹ wörtlich. Die Leute in den Häusern müssen die Häuser verwalten und nicht umgekehrt!«

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