Werbung
  • Sport
  • Deutsche Fußballnationalmannschaft

Auswahl der Harmonie

Bundestrainer Joachim Löw beruft 27 Spieler in seinen vorläufigen WM-Kader

  • Frank Hellmann, Dortmund
  • Lesedauer: 4 Min.

Joachim Löw hatte sich mal wieder ganz in Schwarz gekleidet. Eine Modefarbe, die der Genussmensch aus dem sonnigen Südbaden überaus schätzt, und die sich auch in das Bühnenbild fügte, das an diesem milden Frühlingstag im Dortmunder Fußballmuseum aufgebaut war. Zur Mittagszeit flimmerten über eine Videotafel schließlich jene 27 Namen, die der Bundestrainer für sein vorläufiges Aufgebot für die WM 2018 in Russland auserkoren hat. Der 58-Jährige wirkte hernach noch ein bisschen entspannter als ohnehin, weil kurz zuvor DFB-Präsident Reinhard Grindel die Vertragsverlängerung mit dem populärsten Verbandsangestellten bis 2022 - und damit bis zur umstrittenen WM in Katar - verkündet hatte.

Dass solch eine weitreichende Personalie - inklusive der Ausdehnung des Arbeitsverhältnisses mit Nationalmannschaftsmanager und DFB-Direktor Oliver Bierhoff bis 2024 - beinahe zur Randnotiz verkam, dafür sorgte Löw quasi selbst, indem er entgegen allen Ankündigungen mit einer faustdicken Überraschung in seinem Personaltableau aufwartete: Die Berufung von Nils Petersen war der Paukenschlag beim Weltmeister. Für den noch nie in der A-Nationalmannschaft eingesetzten Torjäger des SC Freiburg bleibt der in acht Länderspielen fünfmal erfolgreiche Sandro Wagner zuhause, was Löw eher nonchalant kommentierte: »Mein Job ist es leider auch, Träume platzen zu lassen und harte Entscheidungen zu treffen.«

Der deutsche Kader für die Fußball-WM 2018 in Russland

Torhüter Länderspiele

Bernd Leno (Leverkusen) 6

Manuel Neuer (München) 74

Marc-Andre ter Stegen (Barcelona) 19

Kevin Trapp (Paris St. Germain) 3

Abwehr

Jerome Boateng (München) 70

Matthias Ginter (Mönchengladbach) 17

Jonas Hector (Köln) 36

Mats Hummels (München) 63

Joshua Kimmich (München) 27

Marvin Plattenhardt (Hertha BSC) 6

Antonio Rüdiger (Chelsea London) 23

Niklas Süle (München) 9

Jonathan Tah (Leverkusen) 3

Mittelfeld/Angriff

Julian Brandt (Leverkusen) 14

Julian Draxler (Paris) 42

Mario Gomez (Stuttgart) 73

Leon Goretzka (Schalke) 14

Ilkay Gündogan (Manchester City) 24

Sami Khedira (Turin) 73

Toni Kroos (Real Madrid) 82

Thomas Müller (München) 90

Mesut Özil (Arsenal London) 89

Nils Petersen (Freiburg) 0

Marco Reus (Dortmund) 29

Sebastian Rudy (München) 24

Leroy Sane (Manchester City) 11

Timo Werner (Leipzig) 12

Vier Spieler müssen bis zum 4. Juni noch gestrichen werden. Zehn Tage danach beginnt die WM. nd/Agenturen

In der Causa Wagner sei die Entscheidung eben »zugunsten anderer« gefallen, wobei die Nicht-Nominierung des 30-Jährigen an »Kleinigkeiten« gehangen habe. Dafür jubiliert nun einer, der wohl selbst nicht mehr geglaubt hatte, nach den Olympischen Spielen auch noch eine WM zu erleben. Jetzt muss der 29-jährige Petersen noch das Trainingslager vom 23. Mai bis zum 7. Juni in Südtirol zur Werbung in eigener Sache nutzen.

Vergangenen Samstag noch hatte der Bundestrainer mit schicker Sonnenbrille im Schwarzwaldstadion gesessen. Viele hatten darin einen lässigen Ausflug vermutet, aber womöglich hat Löw in der Heimat letzte Belege gesammelt, dass der Leisetreter Petersen etwas besser in sein WM-Puzzle passt als der Lautsprecher Wagner, der sein überbordendes Selbstbewusstsein womöglich zu selbstgefällig und häufig nach außen kehrt. »Eine Mannschaft muss nicht nur auf dem Platz, sondern auch außerhalb funktionieren«, betonte Löw bezeichnenderweise, der dem Vernehmen nach zwischenmenschlich nicht unbedingt auf einer Wellenlänge mit dem in vielerlei Hinsicht unkonventionellen Wagner funken soll. Auch wenn Löw den gebürtigen Münchner als »sehr guten Charakter« pries, der immerhin in der abgelaufenen Spielzeit für den FC Bayern und 1899 Hoffenheim zwölf Tore erzielte und vier vorbereitete. Bei Petersen sind 15 Treffer (davon fünf Elfmeter) und drei Vorlagen notiert und bei ihm sieht Löw urplötzlich ein Potenzial, dass dieser »mit seiner Aufgabe wächst, das sagt mein Gefühl.«

Eher keine Bauchentscheidung war der Entschluss, den am Rücken lädierten Emre Can oder auch Mario Götze daheim zu lassen. Speziell der 25-Jährige Dortmunder sei »wahrlich nicht in der Form« gewesen, die eine Nominierung rechtfertige - dann verblasst eben auch seine Heldentat aus dem WM-Finale 2014. Dafür erwartet Löw vier Jahre später endlich etwas von Kumpel und Klubkollege Marco Reus (»ist eine besondere Waffe«), wobei dessen Nominierung mit der Hoffnung verknüpft ist, dass der begabte wie anfällige Dortmunder keinen Verletzungsrückschlag erleidet.

Daumendrücken in Sachen Gesundheit ist auch bei Manuel Neuer angesagt. Dass Löw den seit Mitte September nicht mehr eingesetzten Torwart vom FC Bayern neben Bernd Leno, Marc-André ter Stegen und Kevin Trapp berufen würde, hatte sich abgezeichnet. »Wir wollen uns bei voller Belastung selbst ein Bild machen«, sagte der Bundestrainer und erklärte ausführlich, dass alle »um die Verantwortung in der Gesamtsituation wüssten«. Er habe erst vorgestern wieder ein längeres Gespräch mit seinem Kapitän geführt.

Überein stimmen Löw und Neuer darin: »Ohne Spielpraxis in eine WM zu gehen, ist schier unmöglich.« Der 32-Jährige wisse selbst, was an »Konzentration, Schnellkraft und Reaktionsvermögen« auf diesem Niveau verlangt werde. Ende Mai, Anfang Juni ist im Trainingslager ein »ehrliches Gespräch« geplant. Es sollen aber nicht mehrere »Wenn-dann-Szenarien« ausgetüftelt werden, womit feststeht: Nur wenn Neuer im Härtetest gegen Österreich am 2. Juni in Klagenfurt seinen Mann stehen kann, wird er zur WM nach Russland reisen. Sonst gehört der Welttorhüter zu jenen vier Protagonisten, die am 4. Juni bei der endgültigen Besetzung des 23-köpfigen WM-Kaders noch durchs Rüttelsieb rauschen.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal